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Ausgabe 3/01   Seite 45ff

Das dritte "öffentliche Gelöbnis" der Bundeswehr in Berlin seit dem Fall der Mauer am 20. Juli 1999 auf dem zum Hochsicherheitstrakt umfunktionierten Parkplatz des Bendlerblocks in Berlin endete im Debakel für die Bundeswehr. In dem Moment, als die 432 Rekruten die Gelöbnisformel nachsprechen sollten, entkleideten sich auf der Ehrentribüne mehrere Frauen und rannten nackt, mit rot-bemalten Brüsten zwischen den strammstehenden Soldaten umher. Ein paar junge Männer öffneten gleichzeitig Regenschirme mit der Aufschrift "Tucholsky hatte Recht!" Die Polizei nahm dabei 18 Personen fest und leitete Ermittlungsverfahren ein. Der anfangs geäußerte Verdacht, daß die StörerInnen mit gefälschten Eintrittskarten auf das Gelände kamen, konnte nicht bewiesen werden. Nun sind die ersten Urteile gegen die StörerInnen des öffentlichen Gelöbnisses gefällt worden. Auffallend an den Urteilen ist die uneinheitliche und willkürliche Rechtsprechung - die Richter sind sich nicht einig, welcher Tatbestand vorliegt.

Gelöbnis-Prozesse: Ratlosigkeit und Willkür bei den Richtern

Im Zuge der Störaktionen zum Gelöbnis wurden 60 Personen festgenommen.(1) Gegen insgesamt 42 Personen (2) wurden in der Folge Ermittlungsverfahren eingeleitet, in deren Rahmen 15 Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden - zwei davon in den Räumen der Jungdemokraten / Junge Linke und im Büro für antimilitaristische Maßnahmen (BamM). Letztendlich wurden 18 Personen(3) wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (§ 21) angeklagt. Drei Angeklagten wurde zusätzlich "Widerstand gegen die Staatsgewalt" vorgeworfen. Sämtliche Ermittlungen wegen Hausfriedensbruch und Urkundenfälschung mußten auf Grund schlechter Beweislage eingestellt werden.(4)

Wolf-Dieter Narr, Professor an der FU-Berlin, bezeichnete die Anklagen als "verfassungsrechtlichen Skandal: hier [wird] das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das den Bürger vor dem Staat schützen soll, einfach umgedreht."(5) Für ihn sowie andere UnterstützerInnen war die Störung der militärischen Veranstaltung eine "legitime Form der Meinungsäußerung".(6)

Auf jeden Fall bereitet es den Richterinnen am zuständigen Amtsgericht Berlin-Tiergarten Kopfzerbrechen, wie in diesem Fall die Störung des Gelöbnis nach §21 des Versammlungsgesetzes bestraft werden kann. Das erste Verfahren gegen eine Angeklagte am 23. Januar 2001 endete mit einer Einstellung. Die Richterin bewertet ihr Verhalten, "fast nackt, mit Farbe beschmiert und laut rufend" als "ungebührlich", sah in dieser Handlung aber keine Straftat.(7) Es handle sich um eine Ordnungswidrigkeit ("Belästigung der Allgemeinheit")(8), die bereits verjährt sei. Die Staatsanwaltschaft konnte sich mit ihrer Forderung nach einer Geldstrafe von 1.500 DM nicht durchsetzen und ging deswegen in Berufung. Regina Götz, Rechtsanwältin der Angeklagten, führte in ihrem Plädoyer aus, daß es sich bei dem Gelöbnis nicht um eine Versammlung gehandelt habe, sondern um einen Staatsakt. Hätte es sich um eine Versammlung gehandelt, hätten sich Hunderte Soldaten strafbar gemacht. In Artikel 8 Abschnitt 1des Grundgesetzes heißt es über Versammlungen: "Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln". Zudem verwies die Rechtsanwältin auf die Tatsache, daß das Gelöbnis nicht -wie es sich für eine Versammlung gehört- beim zuständigen Ordnungsamt angemeldet war.(9)

In einem zweiten Verfahren konnte die Staatsanwaltschaft zwar eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 750 DM erreichen, aber "nur" wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt. Der Verurteilte soll von der Zuschauertribüne aus durch Rufe von "Keine Gewalt" gestört zu haben und sich bei der Festnahme durch die Feldjäger mit Schlägen und Tritten zur Wehr gesetzt zu haben.(10) Ein Mitangeklagter wurde wegen Widerstands gegen die Staatsanwaltschaft zu einer Geldstrafe von 750 DM verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, Sein Anwalt bezweifelte die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Feldjägern, da es keine schriftlichen Belege für eine Übertragung des Hausrechtes vom Land Berlin auf die Bundeswehr gibt.(11) Unter dieser Bedingung wäre der Einsatz von Feldjägern nicht rechtens gewesen. Die Richterin argumentierte ihr Urteil mit dem Hinweis, daß der Regierende Bürgermeister beim Gelöbnis anwesend war und "irgend jemand" mit der Hausrechtsausübung der Feldjäger einverstanden gewesen sei.(12) Der Verteidiger ging daraufhin in Revision gegen das Urteil.

Im Verfahren gegen einen dritten Angeklagten, der direkt an der Störaktion beteiligt war, wurde über die Nötigung eine Bestrafung erreicht. Die Richterin folgte in ihrer Rechtsauffassung dabei dem Staatsanwalt, der im Verfahren konstatierte: "Ohne das Eingreifen der Feldjäger wäre eine geordnete Durchführung des Gelöbnisses nicht möglich gewesen."(13) Die Anklageschrift wurde daraufhin um den Vorwurf der Nötigung erweitert. In der Höhe der verhängten Geldstrafe von 600 DM blieb die Richterin hingegen unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die eine Strafe von 1200 DM gefordert hatte.

Bislang wurde nur in einem Verfahren tatsächlich eine Verurteilung wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ausgesprochen. Die Person wurde zu 30 Tagessätzen á 20 DM verurteilt.

Der bisherige Verlauf der Gerichtsverfahren ist ein Beleg für die Legitimität von Bürgerprotesten gegen die militärische Präsenz außerhalb der Kasernenmauern. Unabsichtlich hat das Bundesverteidigungsministerium durch die schlampige Vorgehensweise bei der Planung ihrer Privatveranstaltung den Protestierenden geholfen.

Bedenklich ist es aber, mit welchen Mitteln nun der Militärapparat und die Staatsanwaltschaft versucht, die Protestierenden zu kriminalisieren sowie das Ausmaß, in dem sich die RichterInnen auf dieses Bestreben einlassen. Nachdem Hausfriedensbruch, Urkundenfälschung sowie der Verstoß gegen das Versammlungsgesetz nach §21 im wesentlichen ad acta gelegt werden mußten, wurde über Nötigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Ordnungswidrigkeiten eine Verurteilung erreicht.

Die Urteile bedeuten eine für das Versammlungsrecht, das das Grundgesetz ad absurdum geführt wird. Alle BürgerInnen sind gleich vor dem Grundgesetz, doch die BürgerInnen in Uniform sind gleicher. Für sie gilt die Einschränkung im Versammlungsrecht, sich "ohne Waffen" zu versammeln, nicht. Außerdem hat eine Richterin mit ihrer lapidaren Begründung, daß die stillschweigende Übereinkunft mit dem Hausherrn, in diesem Fall -stellvertretend für das Land Berlin?- dem Regierenden Bürgermeister, ausreiche, um das Hausrecht zu übertragen, der Willkür Tür und Tor geöffnet. Dies ist ein reichlich dreister Versuch für eine weitere Legitimierung der Aneignung öffentlichen Raumes durch die Bundeswehr. Ihre Feldjägern wurden polizeiliche Befugnisse im Rahmen einer "Versammlung" zugestanden - bisher ein Merkmal autoritärer Regime. ms

Anmerkungen:  
(1) Berliner Zeitung 21.07.99
 
(2) Neues Deutschland vom 27.10.99
 
(3) Darunter befanden sich drei Minderjährige. Die Verfahren gegen zwei von ihnen wurden bereits gegen eine geringe Anzahl von Arbeitsstunden eingestellt.
 
(4) taz 24.01.01
 
(5) taz 16.01.01
 
(6) Frankfurter Rundschau vom 24.010.01; junge Welt vom 26.10.99
 
(7) Junge Welt 24.01.01
 
(8) Frankfurter Rundschau 24.01.01
 
(9) junge Welt 24.01.01
 
(10) taz 24.01.01
 
(11) junge Welt 24.01.01
 
(12) junge Welt 24.01.01
 
(13) jW 1.03.01
 

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