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Ausgabe 2/01   Seite 5ff

Möglicherweise bis zu eintausend Radartechniker der Bundeswehr könnten in den letzten 30 Jahren aufgrund eines grob fahrlässigen Umgangs mit der Strahlung von Radarsystemen schwere gesundheitliche Schäden davongetragen haben. Wieviele Personen bereits an den Strahlenfolgen gestorben sind, ist ungewiß. Warnungen vor der Strahlengefahr wurden seitens des Verteidigungsministeriums zumindest bis 1990 systematisch mißachtet. Schutzvorkehrungen waren entweder nicht vorhanden oder extrem lax, entsprechende Grenzwerte sind noch heute sehr hoch bemessen. Ein Menschenleben scheint nicht viel wert beim Militär - auch das der "eigenen Kameraden" nicht.

Stilles Sterben beim Militär

Verstrahlung von Radartechnikern in der Bundeswehr

Im Schatten des medialen Interesses an den Gefahren von Uranmunition wurde Mitte Januar 2001 eine Studie der Privatuniversität Witten/Herdecke publik, die das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) seit eineinhalb Jahren unter Verschluß hielt. Die Studie hatte 99 ehemalige Radartechniker der Bundeswehr untersucht, die seit Jahren unter erheblichen gesundheitlichen Problemen litten.(1) Von ihnen waren 69 an Blut-, Haut-, Knochenmark- oder Lymphdrüsenkrebs oder anderen Krebsarten erkrankt, andere litten unter Symptomen wie Asthma, Hautallergien, Lungenembolien, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, Depressionen etc. - mittlerweile sind 24 von ihnen verstorben.(2) Das durchschnittliche Sterbealter betrug nur 40 Jahre. Die meisten der in der Studie untersuchten Radartechniker waren mit Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten der HAWK- und NIKE-Systeme beschäftigt.(3) Die Studie legt nahe, daß die Ursache der Erkrankungen in den hohen, über den gesetzlich festgelegten Grenzwerten liegenden Strahlungen zu suchen sei: "Im Resultat kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß die gesetzlich festgelegten Sicherheitsgrenzwerte für ionisierende Strahlung (Röntgenstrahlung, krz) und auch gepulster Hochfrequenzstrahlung (elektromagnetische Strahlung, krz) überschritten wurden."(4)

Auch radioaktive Verstrahlungen

Nach einem Bericht von "Report" (Mainz) vom 29. Januar 2001 wurden in den Jahren 1964 bis 1983 Radartechniker der Luftwaffenwerft 31 in Landsberg am Lech (Bayern) bei ihren täglichen Instandsetzungsarbeiten an der Bordelektronik der "Starfighter" auch radioaktiv verstrahlt. Die radioaktive Strahlung, der die Techniker "ungeschützt und uninformiert" ausgesetzt waren, lag um das 22-fache über dem gesetzlich festgelegten Grenzwert. Obwohl Mitarbeiter und Strahlenschutzverantwortliche in der Bundeswehr Meßgeräte anforderten, wurden diese nicht zur Verfügung gestellt. Erst 1983 wurden Messungen vorgenommen, die schließlich dazu führten, Bleiabschirmungen einzuführen. In einer Stellungnahme vom 29. Januar bestreitet das BMVg die Vorwürfe und behauptet, die Grenzwerte seien eingehalten worden.(5) Wieviele Angehörige der Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten dienstbedingt an den Folgen erhöhter Röntgen-, Hochfrequenz- und radioaktiver Strahlendosen starben, ist bislang völlig unklar. Bis zu 1.000 "qualifizierte Radarmechaniker" der Bundeswehr, die von Ende der 50er bis in die 80er Jahre am Flugabwehrsystem HAWK, am Raketenabwehrsystem NIKE und an den Flugleitsystemen und der Bordelektronik der "Starfighter" (F-104 G) und "Tornados" arbeiteten, könnten möglicherweise betroffen sein.(6)

Keine Haftung für Risiken und Nebenwirkungen des Kriegsdienstes

Das Verteidigungsministerium bestreitet einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Erkrankungen der Radartechniker und einer Strahleneinwirkung: "Gesundheitliche Schädigungen, insbesondere Tumorerkrankungen" seien "grundsätzlich nur auf Unfälle oder Missachtung von Dienstvorschriften" zurückzuführen, so eine Presseinformation vom 16. Januar 2001. Das BMVg verweist darauf, daß "in der Vergangenheit beim Umgang mit Radargeräten die Grenzwerte in den Streitkräften stets eingehalten" wurden.(7) Mit dem Verweis auf den fehlenden Kausalitätsbeweis - der wissenschaftlich kaum zu erbringen sein dürfte (aber faktisch den Opfern aufgebürdet wird) - und der impliziten Unterstellung, die Strahlenopfer seien an ihren Erkrankungen selbst schuld, da diese nur aus einer Verletzung der Dienstvorschriften herrühren könne, verweigert die Bundeswehr nicht nur eine Anerkennung der Krankheiten als Wehrdienstbeschädigung, welche Regresszahlungen nach sich ziehen würde, sondern verhöhnt die Opfer auch noch. Dennoch sind seit 1985 diverse Verfahren strahlengeschädigter Soldaten gegen die Bundeswehr anhängig, die eine Invalidenrente bzw. Entschädigung gegenüber dem Bund geltend zu machen versuchen. Doch in nur fünf Fällen ist den Betroffenen eine Wehrdienstbeschädigung anerkannt worden.(8) In vielen Fällen hingegen versucht vor allem die zivile Wehrverwaltung mit allen Mitteln, Schadensansprüche abzuwehren oder fechtet die Bundeswehr Anerkennungsentscheide von Truppenärzten und Sozialgerichten an.(9)

Abgänge billigend in Kauf genommen
Warnungen vor der Gefahr der Röntgenstrahlen gab es schon seit langem. Doch obwohl "seit Jahren vor den Risiken gewarnt" wurde, seien "die Gefahren für die Soldaten heruntergespielt" worden, so Günter Käs, ehemaliger Professor an der Bundeswehr-Universität in München.(10) Das Problem der tödlichen Strahlungen wurde von der Bundeswehr "auf allen Ebenen totgeschwiegen", so auch der Medizinphysiker an der Medizinischen Universität Lübeck, Leberecht von Klitzing.(11) Nach Angaben des Deutschen Bundeswehrverbandes war die erhöhte Röntgenstrahlung an Radargeräten der Bundeswehr bereits seit 1958 bekannt. Seit 1970 soll es Hinweise von Soldaten auf die Gefährlichkeit der Strahlungen gegeben haben, von denen alle drei Teilstreitkräfte in Kenntnis gesetzt wurden. Bis in die 80er Jahre soll die Bundeswehr jedoch die Bestimmungen der Strahlenschutzverordnung mißachtet haben.(12) Wie fahrlässig die Bundeswehr mit dem Leben der Soldaten umging - und möglicherweise auch weiter umgeht -, zeigt der Fall des Siegfried Rabenstein, Radartechniker im Marinearsenal Wilhelmshaven. Eine nach dem plötzlichen Krebstod zweier seiner Kollegen im April 1976 durchgeführte Untersuchung, die eine hohe Strahlenemission an Radarsystemen der Bundeswehr festgestellt hat, hatte lediglich die Konsequenz, den Technikern Bleischürzen bei der Arbeit vorzuschreiben. Nichtsdestotrotz starben in der Folge acht weitere Kollegen von Rabenstein an Krebs.(13) In einem anderen Fall wurden 1980 Angehörige eines Bataillons in einer Dienstanweisung ihres Kommandeurs vor der "ständigen Gefährdung durch Strahlenbelastung" gewarnt, "die im ungünstigsten Fall den Tod des Betroffenen zur Folge haben kann".(14) Dennoch wurden seitens der Bundeswehr auch in diesem Falle keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Erst ab 1989 sollen Abschirmmaßnahmen, die bereits in einem bundeswehrinternen Papier von 1981 empfohlen wurden, allmählich (bundesweit) umgesetzt worden sein.(15) Auch Grenzwerte für Hochfrequenzstrahlung wurden erst 1978 NATO-weit eingeführt, wie das BMVg selbst einräumt.(16) Doch auch nach Einführung dieser Grenzwerte warnte ein internes NATO-Papier von 1979 vor der Strahlengefahr bspw. des HAWK-Systems. Noch im September 1998 soll sogar der niederländische Lizenzhersteller von HAWK (Hollandse Signaal Apparaten/HSA) eingestanden haben, daß die Geräte "Krebs auslösen" könnten.(17) Günter Käs macht darauf aufmerksam, daß auch heute die Grenzwerte in Deutschland "mittlerweile die laxesten in der ganzen Welt" seien, und daß Soldaten EU-weit auch innerhalb der festgelegten Grenzwerte einer zu hohen Strahlenbelastung ausgesetzt seien.(18)

Fazit

Die zögerliche Umsetzung notwendiger Schutzmaßnahmen erfolgte immer, wenn auch Jahrzehnte zu spät, auf Druck von außen, d.h. von ehemaligen Soldaten, die sich zu Initiativen zusammenschlossen und zivilgerichtlich klagten, und von Medienberichten, die auf das Schicksal der Soldaten und die Versäumnisse der Bundeswehr aufmerksam machten: Beispielsweise eine "Monitor"-Sendung der ARD vom 18. September 1990 oder ein "Spiegel"-Artikel von August 1996. Auch die Studie der Uni Witten/Herdecke - die kurz nach Erscheinen des "Spiegel"-Artikels in Auftrag gegeben wurde - kam nur zustande, nachdem die betroffenen Soldaten in Eigeninitiative ihre Daten zur Verfügung gestellt hatten.(19) Zwar erklärt das BMVg, daß heutzutage alle Radareinrichtungen ständig auf mögliche schädliche Strahlung untersucht würden(20) - und zumindest seit 1993 könnten auch die Experten der Wehrverwaltung eine "nennenswerte Strahlenexposition" bei Radaranlagen ausschließen(21) - aber dennoch läßt die Bundeswehr derzeit in einer neuen Studie, die 2002 abgeschlossen sein soll, überprüfen, wie der Schutz von Soldaten im Umgang mit Radarstrahlen verbessert werden kann. Wir wissen nicht, was die Herren von der Hardthöhe den Kriegsdienstleistern der Zukunft empfehlen werden, wir Antimilitaristen können nur allen empfehlen: macht einen großen Bogen um den Bund, dann bleibt Ihr auch gesund! Denn Militär tötet, nicht nur im Krieg. krz

Anmerkungen:
(1) Autor der 1996 vom BMVg in Auftrag gegebenen vertraulichen Studie "Gesundheitliches Risiko beim Betrieb von Radareinrichtungen in der Bundeswehr" ist Eduard David, Professor für normale und pathologische Physiologie am Zentrum für Elektropathologie der Universität Witten/Herdecke. Ein Kurzbericht ist nachzulesen unter: http://www.uni-wh.de/de/medi/radar.htm
(2) Frankfurter Rundschau (FR), 15.1.01
(3) Deutscher Bundeswehrverband (DBwV), Pressemitteilungvom 19.1.01, http://www.dbwv.de/presse/einzelmeldung.html?id=98
(4) Zit. nach: Stern 5/01 (25.1.), S.31
(5) Report Mainz, Neuer Strahlenskandal - Ex-Bundeswehroffiziere klagen an, 29.1.01, http://www.swr-online.de/report/archiv/sendungen/290101/bw.html
(6) Der Spiegel 4/01 (22.1.), S.27
(7) Zit. nach: http://www.bundesregierung.de/dokumente/Artikel/ix_28929.htm; am 24.1.01 erklärte Scharping gar, daß von einer Häufung von Erkrankungen bei Radartechnikern keine Rede sein könne. Vgl.: Netzeitung, 24.1.01, http://www.netzeitung.de/servlets/page?section=784&item=127916
(8) DBwV (Fußnote 3)
(9) Der Spiegel berichtete 1996 über den Fall eines 1982 verstorbenen Soldaten, dessen Angehörige seit damals über zehn Jahren gegen die Bundeswehr prozessierten und mit den unsinnigsten Begründungen abgewiesen wurden. Eine Begründung war, daß "eine Erkrankung durch Hochfrequenzstrahlung" in der Berufskrankheiten-Verordnung der Berufsgenossenschaften "nicht aufgeführt" sei. Interessant ist auch der Hinweis, daß die Bundeswehr nach dem Soldatenversorgungsgesetz auch nach Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung nicht dazu verpflichtet ist, Versorgungsleistungen zu zahlen. Gibt's das im zivilen Leben? Vgl.: Der Spiegel 32/96, 5.8., S.44/45
(10) Zit. nach: Spiegel 4/01 (22.1.), S.28
(11) Zit. nach: Stern 5/01 (25.1.), S.34
(12) DBwV (Fußnote 3)
(13) Stern 5/01 (25.1.), S.32
(14) Zit. nach: "Monitor" vom 18.9.90, http://www.wdr.de/tv/monitor/archiv/2001/01/18c.html
(15) DBwV (Fußnote 3)
(16) Information der Bundesregierung vom 16.1.01, http://www.bundesregierung.de/dokumente/Artikel/ix_28929.htm
(17) Der Spiegel 4/01 (22.1.), S.28
(18) Zit. nach: FR, 29.1.01; in Italien bspw. betragen die Grenzwerte ein 10tel, in der Schweiz gar ein 50tel der deutschen Grenzwerte. Daß Radarstrahlung ein europaweites Problem ist, macht eine Langzeit-Untersuchung der Universität Warschau deutlich, die zwischen 1971 und 1990 an knapp 2.500 erkrankten militärischen Radartechnikern durchgeführt wurde. Die Studie ermittelte eine 1,83-fache Todesrate bei Soldaten, die der Strahlung ausgesetzt waren, gegenüber jenen, die nicht mit Radarstrahlung in Kontakt kamen.
(19) DBwV (Fußnote 3)
(20) Stern 5/01 (25.1.), S.34
(21) Focus 4/01 (22.1.), S.29
 

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