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Ausgabe 1/01 Seite 5ff |
Am 24. März 1999 fand mit der Beteiligung der Bundeswehr am Krieg im ehemaligen Jugoslawien eine Zäsur in der Außen- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik statt: Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg nahmen deutsche Soldaten aktiv kämpfend an einem Krieg teil. Die ami dokumentiert eine Umfrage unter den damaligen Parlamentariern zu ihrer Kosovoentscheidung und den Folgen - 25 Seiten O-Töne aus Antwortbriefen der Abgeordneten und die BT-Debatte vom 16.10.1998 bei /extra/kosovo/mdbs.htm. Hier eine Zusammenfassung der Antworten und die sensationelle Antwort des damaligen Bundesjustizministers.
Hermann Theisen (1)
Interessant in diesem Zusammenhang ist der Umstand, daß die wenige Tage zuvor gewählte SPD-Bündnis 90/Die Grünen-Bundesregierung dem Parlament einen Antrag zur Abstimmung vorlegte, ohne daß sich zum Abstimmungszeitpunkt der gerade gewählte Bundestag bereits konstituiert hatte. So entstand die außergewöhnliche Situation, daß die Bundestagsabgeordneten der 13. Legislaturperiode über einen Antrag der Bundesregierung der 14. Legislaturperiode abzustimmen hatten. Die Schröder/Fischer-Regierung stand also sprichwörtlich Gewehr bei Fuß, um die Kohl´sche Kosovo-Politik nahtlos fortzuführen und in einen Krieg münden zu lassen.
Das Abstimmungsergebnis ist hinlänglich bekannt: Von 580 anwesenden Parlamentariern stimmten 500 mit Ja, 62 mit nein und 18 enthielten sich ihrer Stimme.
Der zweite Jahrestag dieser Bundestagsentscheidung, mit welcher die Weichen für die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg gestellt wurden, gab den Anlaß, die Bundestagsabgeordneten schriftlich zu ihrem Abstimmungsverhalten zu befragen.
Von den Kriegs-Befürwortern wurden immer wieder folgende Argumente genannt: Ethnische Säuberungen durch Milosevic, Völkermord durch serbische Truppen, Verhinderung einer humanitären Katastrophe, stattfindende Massaker in Bosnien-Herzegowina, Verhandlungsmöglichkeiten waren ausgeschöpft, Bündnispflichten als NATO-Mitglied.
Von den Kriegs-Gegnern: Völkerrechtswidriger Angriffskrieg, Selbstmandatierung der NATO, Verletzung der Bestimmungen des Grundgesetzes, Verselbständigung des Kriegsgeschehens, Opfer innerhalb der Zivilbevölkerung und wirtschaftliche bzw. ökologische Schäden durch die Bombardements.
Interessant ist, daß von beiden (!) Seiten immer wieder auf das Fehlen von Instrumenten ziviler Konfliktbearbeitung hingewiesen wird und deren Weiterentwicklung gefordert wird.
Insgesamt ist festzustellen, daß die Antworten der Abgeordneten die jeweils zum Abstimmungszeitpunkt vorhandene Meinung nahezu ausschließlich bestätigen. Daraus ist zu schließen, daß die Kritik am Kosovo-Krieg die Kriegs-befürwortenden Parlamentarier auch im Nachhinein nicht erreicht hat.
Gleichwohl kommt sowohl von den Befürwortern - als auch von den Gegnern des Krieges - in entsprechend kontroversen Sichtweisen immer wieder die außerordentliche politische Bedeutung der betreffenden Bundestagsentscheidung zum Ausdruck. Um so erstaunlicher (bzw. bedauerlicher) ist es, daß 1 1/2 Jahre nach Kriegsende von jener kontroversen verteidigungspolitischen Sichtweise im aktuellen bundespolitischen Diskurs so gut wie nichts mehr zu spüren ist. Im Gegenteil: Der Scharping/Beer-Kurs der neuen Bundeswehr weicht nur in marginalen Zügen vom Rühe-Kurs ab.
"1. Ich habe an der seinerzeitigen Beschlußfassung im Bundestag extra nicht teilgenommen (und dafür auch die betreffende Ordnungsgeldzahlung gern in Kauf genommen). Ich war seinerzeit noch der amtierende Bundesjustizminister und hatte mich bei dem vorangehenden Kabinettsbeschluß, der die Parlamentsvorlage lieferte, ausdrücklich gegen die in Rede stehende Einsatzentscheidung ausgesprochen. Eine entsprechende Protokollerklärung von mir liegt in den Kabinettsakten. Da ich mich außerhalb des Kabinetts nicht gegen die Bundesregierung stellen wollte (und durfte: § 28 II GeschOBReg), aber auch von meiner Meinung nicht abweichen wollte, kam nur eine Nichtteilnahme in Betracht. Maßgeblich war in der Sache für mich vor allem das Fehlen eines entsprechenden Sicherheitsrats-Beschlusses. Denn abgesehen von der schlichten rechtlichen Notwendigkeit einer solchen Voraussetzung schien (und scheint) mir nur durch einen solchen Beschluß die Gefahr vermieden, daß einzelne Staats- und Bündnisinteressen den Ausschlag geben. Immerhin hatte man in ganz ähnlichen Fällen mit vergleichbaren humanitären Katastrophen eben von einer militärischen Intervention abgesehen, offenbar weil bestimmte Machtinteressen nicht so eindeutig dafür stritten. Schließlich schien mir auch die militärische, strategische Richtigkeit des Waffeneinsatzes nicht einleuchtend, weil durch die Luftoperationen voraussehbar die zu schützende Bevölkerung selbst in Mitleidenschaft gezogen würde.
2. Nach wie vor halte ich meine Entscheidung von damals für richtig und glaube auch, daß es heute zu einer entsprechenden Initiative der NATO-Staaten nicht mehr kommen würde.
3. Die Diskussion seinerzeit war ausführlich. Wenn etwas zu kritisieren wäre, dann ist es die eskalierende Abfolge von militärischen Vorentscheidungen, welche den Schlußentscheid für viele wohl auch unausweichlich erscheinen ließ. Für die aktuelle politische Arbeit hat sich seither aber gewiß das Problembewußtsein geschärft. Daß beispielsweise erneut ein militärischer Einsatz out of area ohne Sicherheitsratsbeschluß vorgenommen würde, halte ich heute für ausgeschlossen."(5)
Wenn jene in ihrer kriegskritischen Aussagekraft kaum zu überbietende Meinung - des damals amtierenden Bundesjstizministers - zur Bundeswehrbeteiligung am Kosovo-Krieg zum Abstimmungszeitpunkt den Parlamentariern vorgelegen hätte, wäre deren Abstimmungsergebnis mit großer Wahrscheinlichkeit anders ausgefallen. Und wie hätte wohl die Öffentlichkeit reagiert, wenn sie davon Kenntnis gehabt hätte, daß selbst der Bundesjustizminister dem Krieg die rechtliche Legitimation absprach sowie inhaltlich die kriegsbefürwortenden Argumente der Schröder/Fischer-Regierung nicht nachvollziehen konnte? Eben darum blieb jene Meinung wohl ein solch gut gehütetes Geheimnis der Kabinettsakten der Kohl-Regierung...(6)
Anmerkungen:
(1) Hermann Theisen lebt in Heidelberg
und arbeitet als Publizist. Er steht - ebenso wie mehrere Dutzend anderer
Menschen, die zur Desertation aus dem Krieg gegen Jugoslawien aufgerufen
hatten, - vor Gericht wegen "Aufrufung zu Straftaten".
(2) BT-Drucksache 13/11469: http://dip.bundestag.de/btd/13/114/1311469.pdf
(3) Den kompletten Brief, 25 Seiten O-Töne
aus Antwortbriefen der Abgeordneten und die BT-Debatte vom 16.10.1998 dokumentieren
wir auf der ami-Homepage: /extra/kosovo/mdbs.htm
(4) /extra/kosovo/mdbs.htm#_Toc504036729
(5) Brief an den Autor vom 27.10.00
(6) Die Rückantworten sind in einer
Dokumentation zusammengefaßt und können gegen Überweisung
von DM 10.- auf das Sonderkonto Stop den Krieg Sparkasse Heidelberg: Konto
4097866 - Bankleitzahl 672 500 20 angefordert werden. Außerdem sind
sie im Internet bei /extra/kosovo/mdbs.htm
zu finden.
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