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Ausgabe 1/00 Seite 13ff |
Am 19. Dezember 1999 fand im Berliner Mehringhof, in dem rund 35 alternative Projekte arbeiten, eine Großrazzia statt. Anlaß war die Suche nach Sprengstoff und Waffen im Zusammenhang mit Anschlägen der "Revolutionären Zellen" aus den achtziger und den frühen neunziger Jahren. Gleichzeitig wurden in Berlin und Frankfurt/M. drei Personen unter dem Verdacht festgenommen, Mitglieder der RZ (gewesen) zu sein.
Bei der Razzia sah sich eine Gruppe von 20 Partygästen, die von einer bolivianischen Solifete am Samstag Abend übrig geblieben war, plötzlich den schwarzvermummten "Terroristenjägern" der GSG 9 gegenüber. Die müden Partybesucher wurden mehrere Stunden festgehalten. Bei der Gelegenheit wurden sie gleich auf ausländerrechtliche Vergehen überprüft.(6) Beobachter waren bei dem Einsatz nicht erwünscht. Die Fraktionsvorsitzende der PDS in Kreuzberg, Barbara Seid, sowie Pressevertreter bemühten sich vergeblich um den Zutritt zum Mehringhof.(7) Im Laufe des Nachmittags versammelten sich rund hundert Demonstranten zu einer Spontandemonstration vor dem Mehringhof. Dabei kam es zu Rangeleien mit der Polizei und zu zwei Festnahmen.(8)
Zeitgleich zur Razzia wurden der Hausmeister des Mehringhofes Axel H. und der Mitarbeiter der Forschungsstelle Flucht und Migration Harald G. in ihren Wohnungen in Berlin sowie Sabine Barbara E. in Frankfurt am Main festgenommen und in Karlsruhe dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes vorgeführt. Ihnen wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach §129a Strafgesetzbuch (StGB) und die Beteiligung an Anschlägen der RZ vorgeworfen.
Harald G. und Sabine Barbara E. wird der Sprengstoffanschlag der RZ auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber in Berlin im Februar 1987 zur Last gelegt. Die beiden sollen außerdem laut BAW an den oben erwähnten Anschlag auf Günter Korbmacher im September 1987, Sabine Barbara E. zusätzlich an dem Anschlag auf Harald Hollenberg im Oktober 1986 beteiligt gewesen sein.(10) Die Anschläge auf Korbmacher und Hollenberg können den beiden, unabhängig davon ob sie beteiligt waren, nicht zu Last gelegt werden, da sie als schwere Körperverletzung bereits nach fünf Jahren verjährt sind. Nicht verjährt ist dagegen der Verdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Eine Schuld nach §129a verjährt erst nach zehn Jahren. Die drei Beschuldigten erhielten wegen der "Schwere der Anschuldigungen" keine Haftverschonung und bleiben bis auf weiteres in Untersuchungshaft.(11)
Die Beschuldigungen von Tarek M. stehen nach der Einschätzung Stugzinskis im Zusammenhang mit der zum Ende des Jahres 1999 ausgelaufenen Kronzeugenregelung.(14) Die Kronzeugenregelung war ein Element der Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität, das Angeklagten, die z.B. der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beschuldigt wurden, Strafmilderung, Strafminderung oder sogar Amnestie versprach, wenn sie mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten und Mitangeklagte oder andere Personen denunzieren. Die rot-grüne Mehrheit im Bundestag beschloß am 3. Dezember 1999 gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP die Kronzeugenregelung zum Jahresende auslaufen zu lassen.(15) Die Aussagen von Tarek M. kamen also für diesen gerade noch rechtzeitig, um die Kronzeugenregelung in Anspruch zu nehmen.
Insbesondere der jetzt auch wieder angewandte Gesinnungsparagraph 129a ist ein staatliches Machtmittel zur Zähmung Andersdenkender. Nach §129a wird die Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren geahndet (Abs. 1), aber auch die bloße Unterstützung oder das Werben für eine solche mit Haftstrafen von sechs Monate bis fünf Jahre bedroht (Abs. 2). Eine konkrete Tat muß bei einer Mitgliedschaft dann gar nicht mehr nachgewiesen werden. Als Unterstützung wird jedes Handeln gewertet, daß den Mitgliedern einer terroristischen Vereinigung irgendeinen Vorteil verschaffen könnte, z.B. die Versorgung mit Essen oder das Verleihen der Wohnung. Unter Werbung fällt jede offene oder verdeckte Propagandatätigkeit, ohne daß sie zu einen nachweisbaren Erfolg führen muß, nach manchen Gerichtsurteilen auch schon die bloße Sympathiebekundung.(19) Bei Fällen, in denen §129a relevant ist, gibt es erweiterte Befugnisse für Polizeiapparat und Justiz, die ansonsten undenkbar sind. Dazu gehören u.a.:
Die Dimension des Polizei-/GSG 9-Einsatzes steht in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen Gefahr, die bspw. durch Mitglieder der RZ ausgeht. Selbst die Bundesanwaltschaft mußte zugeben, daß es keine Erkenntnisse gebe, ob die Organisation heute noch aktiv sei oder Anschläge plane und daß es bei den Verhaftungen und der Großrazzia lediglich um die Aufklärung von Altfällen gehe.(21) Vielmehr wird eine "Terrorismusgefahr durch den immensen Aufwand und der militärischen Dimension der Polizeiaktion erst inszeniert. Die auf diese Weise inszenierte Gefahr wiederum soll den überdimensionalen Polizeieinsatz im besonderen und die sich selbst erhaltenden Antiterrorismusstrukturen und -institutionen im allgemeinen legitimieren. Kriminalisiert wurde durch diese Aktion auch das Projekt des Mehringhofes als Ganzes. Als Treffpunkt linker Gruppen ist er dem Staatsschutz schon immer ein Dorn im Auge gewesen. tw
Anmerkungen
(1) Der Mehringhof beherbergt u.a. die
Forschungsstelle Flucht und Migration, die sich durch kritische Forschung,
Dokumentation und Publikationen zur europäischen Flüchtlingspolitik
auszeichnet, das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile/Lateinamerika
(FDCL), die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft für Umwelt und Entwicklung,
eine Schule für Erwachsenenbildung, ein Puppentheater, eine Fahrradreparaturwerkstatt,
die Szenekneipe "EX" und den Buchladen "Schwarze Risse".
(2) Die GSG 9 ist eine paramilitärische
Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes von ca. 200 Mann, die zur Terrorismusbekämpfung
gegründet wurde. Vgl.: ami 3/97, S.38ff.; Bürgerrechte und Polizei/CILIP
Nr. 47 "Die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9)", S. 47ff.
(3) taz, 20.12.99
(4) taz, 21.12.99
(5) Ebd.
(6) Der Tagesspiegel, 20.12.99
(7) Ebd.
(8) taz, 20.12.99
(9) Daten zu den RZ aus: taz, 21.12.99;
Der Tagesspiegel, 21.12.99
(10) taz, 20.12.99
(11) taz, 21.12.99
(12) Ebd.
(13) Ebd.
(14) Ebd.
(15) FR, 4.12.99
(16) Vgl.: ami 3/97, S.34ff.
(17) Das Kontaktsperregesetz regelt die
Möglichkeit der Isolationshaft und des Kontaktverbots mit Angehörigen
und Anwälten für alle nach §129a Inhaftierten, gleichgültig
ob diese verurteilt sind oder nur verdächtigt werden, in Situationen
kollektiven Hungerstreiks oder terroristischen Aktionen von Gesinnungsgenossen.
Vgl. dazu: Enno Brand, Staatsgewalt, Göttingen 1988, S. 40
(18) Demnach kann ein Verteidiger vom
Verfahren ausgeschlossen werden, wenn er verdächtigt wird, an einer
Straftat nach §129a beteiligt zu sein (§ 138a StPO). Außerdem
ist die gemeinschaftliche Verteidigung mehrerer derselben Tat Beschuldigter
nicht gestattet (§146 StPO). Vgl.: Brand, a.a.O., S.40
(19) Vgl.: Brand, a.a.O., S.36
(20) Vgl.: Ebd., S.38ff.
(21) Der Tagesspiegel, 21.12.99
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