In der Strafsache gegen
xxxxxxxxx
wegen öffentlicher Aufforderung
zu Straftaten
hat das Amtsgericht Tiergarten
in der Sitzung am 2. März 2000, an der teilgenommen haben:
Richter Lickleder als Strafrichter,
Staatsanwältin Jaeger
als Beamtin der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt Rosenkranz
als Verteidiger,
Justizangestellte Karajkovic
als Urkundsbeamtin der Gerschäfisstelle,
für Recht erkannt:
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens
und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Landeskasse Berlin
zur Last.
Gründe:
I.
Die Staatsanwaltschaft hat
gegen den Angeklagten die folgenden Vorwürfe
erhoben:
1. Mit Antrag auf Erlaß
eines Strafbefehls vom 2. Juli 1999 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten
vorgeworfen, er habe am 21. April 1999 gemeinschaftlich mit weiteren als
„Erstunterzeichner“ aufgeführten Personen öffentlich durch Verbreiten
von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat, nämlich zur Fahnenflucht
(§ 16 WStG) und Gehorsamsverweigerung (§ 20 WStG), aufgefordert.
In der Ausgabe der „tageszeitung“ vom 21. April 1999 sei eine Anzeige erschienen,
in der der folgende Aufruf veröffentlicht worden sei:
Dokumentation
des Aufrufs im -Format
(76KB)
Gegen den am 2. August 1999
erlassenen und am 14. September 1999 zugestellten Strafbefehl hat der Angeklagte
mit Schreiben vom 22. September 1999, eingegangen am 24. September 1999,
Einspruch eingelegt.
2. Mit der zugelassenen Anklage
vom 25. November 1999 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten weiterhin
vorgeworfen, er habe in der Zeit vom 4. bis 7. Mai 1999 in Bonn gemeinschaftlich
öffentlich durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen
Tat, nämlich zur Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung, aufgefordert.
Er habe den Entschluß gefaßt, gemeinsam mit dem gesondert verfolgten
xxxx und weiteren Erstunterzeichnern öffentlich und auf möglichst
vielfältige Weise Soldaten der Bundeswehr zu Befehlsverweigerung und
Fahnenflucht aufzufordern, und zu diesem Zweck den unter oben I.1. im oberen
Teil bis zur Trenungslinie wiedergegebenen Aufruf unterzeichnet. Der gesondert
verfolgte xxxx habe eine Abschrift des Aufrufs entsprechend dem gemeinsamen
Tatplan mit Anschreiben vom 4. Mai 1999 an die Staatsanwaltschaft Bonn
gesandt, bei der er am 7. Mai 1999 eingegangen sei. Ferner soll xxxx den
Aufruf an das Katholische Militärbischofsamt, zwei Bonner Streitkräfteämter,
das Kreiswehrersatzamt Bonn, den lnfo-Service eines Streitkräfteamtes
in Bonn, das Feldjägerdienstkommando in Bonn, das Bundeswehr-Selbsthilfewerk,
das Bundeswehr-Sozialwerk e. V., den Deutschen Bundeswehrverband e. V.,
das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr, den Verband der Arbeitnehmer
der Bundeswehr, den Verband der Beamten der Bundeswehr e. V., den Verband
der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, das Polizeipräsidium Bonn,
das Bundesministerium der Verteidigung sowie an die Fraktionen des Deutschen
Bundestages gesandt haben.
II.
Der Angeklagte hat in der
Hauptverhandlung glaubhaft erklärt, daß er den später in
der "tageszeitung“ veröffentlichten Aufruf unterschrieben habe. Er
habe seine Unterschrift mit dem Wissen und Wollen geleistet, daß
der Aufruf in vielfältiger Weise unter Nennung seines Namens verbreitet
werde. Daß der Aufruf in der tageszeitung veröffentlicht werden
solle, habe er gewußt. Von der Versendung des Aufrufs durch den Zeugen
xxxx habe er erst durch die Anklageschrift konkrete Kenntnis erlangt. Er
habe sie jedoch ohne Einschränkung gebilligt und bereits bei der Unterzeichnung
sicher angenommen, daß es zu solchen Aktionen kommen werde. Sein
Ziel sei es nicht gewesen, zu Straftaten aufzurufen. Ihm sei es im Gegenteil
darum gegangen, die Soldaten davon abzuhalten, im Kriegseinsatz gegen Jugoslawien
Straftaten zu begehen. Er sei der festen Überzeugung gewesen,
daß sich ein Soldat nicht strafbar machen könne, wenn er dem
Aufruf Folge leiste.
III.
Der
Angeklagte war aus Rechtsgründen freizusprechen, da das ihm vorgeworfene
Handeln nicht strafbar ist. Der Tatbestand der öffentlichen Aufforderung
zu Straftaten gemäß § 111 Abs. 1 und 3 StGB war weder im
Fall I.1. noch im Fall I.2. erfüllt. Die Vorschrift setzt voraus,
daß der Täter zu einer rechtswidrigen Tat auffordert. Rechtswidrig
ist eine Tat nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB nur dann, wenn sie den Tatbestand
eines Strafgesetzes verwirklicht. Diese Voraussetzung war hier nicht gegeben.
Wären die angesprochenen Soldaten der Bundeswehr dem Aufruf gefolgt,
so hätten sie sich weder wegen Fahnenflucht noch wegen Gehorsamsverweigerung
strafbar gemacht. Die Tatbestände der Gehorsamsverweigerung und der
Fahnenflucht waren nicht eröffnet, weil der Einsatz der Bundeswehr
gegen die Bundesrepublik Jugoslawien rechtswidrig war.
1. Ein Soldat ist nicht strafbar,
wenn er die Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Kampfeinsatz ablehnt
oder sich von der Truppe entfernt, um sich der Teilnahme an diesem Einsatz
zu entziehen.
a) Ein Soldat ist nach §
20 Abs. 1 WStG wegen Gehorsamsverweigerung zu bestrafen, wenn er sich mit
Wort oder Tat gegen einen Befehl auflehnt oder darauf beharrt, einen Befehl
zu befolgen, nachdem er wiederholt worden ist. Nach § 22 Abs. 1 WStG
handelt der Untergebene jedoch nicht rechtswidrig, sofern der Befehl nicht
verbindlich ist. Die Verbindlichkeit fehlt unter anderem dann, wenn der
Befehl gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstößt.
Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Befehl im Rahmen eines völkerrechtlich
unzulässigen Einsatzes erteilt wird. Es kommt nicht darauf an, ob
sich die Erteilung des Befehls in subjektiver Hinsicht als kriminelles
Unrecht darstellt. Ein völkerrechtswidriger
Befehl ist auch dann unverbindlich, wenn er in bester Absicht erteilt wird.
Grund der Unverbindlichkeit ist nicht ein etwaiger Schuldvorwurf gegen
den Befehlsgeber, sondern der objektive Unwert der angesonnenen Handlung.
b) Wegen Fahnenflucht macht
sich ein Soldat nach § 16 Abs. 1 WStG strafbar, wenn er seine Truppe
oder Dienststelle verläßt oder ihr fernbleibt, um sich der Verpflichtung
zum Wehrdienst dauernd oder für die Zeit eines bewaffneten Einsatzes
zu entziehen oder die Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zu erreichen.
Auf eine Fahnenflucht, mit der die dauernde Vereitelung der Wehrpflicht
oder der Abbruch des Wehrdienstverhältnisses erstrebt wird, richtete
sich der Aufruf nicht. Die betroffenen Soldaten sollten sich von der Truppe
lediglich in der Absicht und zu dem Zweck entfernen, die Teilnahme am bewaffneten
Einsatz gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zu vermeiden. Ein Verlassen
der Truppe, das zu dem begrenzten Zweck erfolgt, einem bestimmten Kampfeinsatz
fernzubleiben, ist jedoch nur dann als Fahnenflucht strafbar, wenn dieser
Einsatz selbst rechtmäßig ist.
Daran ändert es nichts,
daß § 16 WStG nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Einschränkung
kennt, die dem § 22 WStG entspricht. Die Systematik des Gesetzes erlaubt
es auch nicht, den § 22 WStG unbesehen auf die Tatbestände des
§ 16 Abs. 1 WStG zu übertragen. Die Einschränkung ergibt
sich vielmehr unmittelbar aus der Vorschrift des § 16 Abs. 1 WStG
selbst. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist die Rechtmäßigkeit
des bewerteten Einsatzes als ungeschriebene objektive Bedingung der Strafbarkeit
wegen Fahnenflucht im Gesetz enthalten. Mit dem Straftatbestand der Fahnenflucht
verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, das Interesse des Staates an der ungeschmälerten
Kampfkraft und Einsatzfähigkeit der Truppe zu schützen. Dieses
Interesse ist aber nicht schutzwürdig, wenn der Staat die Truppe zur
Durchführung eines Einsatzes benützen will, den er von Rechts
wegen nicht durchführen darf. Ein rechtswidriger Kampfeinsatz ist
kraft objektiven Rechts zu unterlassen. Es besteht kein gesetzgeberisches
Bedürfnis, seine Durchführung durch Strafandrohung zu fördern.
Eine solche Absicht könnte dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden.
Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß es erforderlich wäre,
die Strafbarkeit auf diesen Fall zu erstrecken, um die Verfügbarkeit
der Truppe für rechtmäßige Einsätze nicht zu gefährden.
Der Soldat, der sich von der Truppe löst, um die Teilnahme an einem
Kampfeinsatz zu vermeiden, tut das auf eigenes Risiko. Er kann lediglich
dann nicht wegen Fahnenflucht bestraft werden, wenn feststeht, daß
der Einsatz nicht stattfinden durfte, weil er objektiv rechtswidrig war:
Zum gleichen Ergebnis führt
die verfassungskonforme Auslegung des § 16 Abs. 1 WStG. Der
Staat ist durch die subjektiven Rechte der Soldaten gehindert, ihre Teilnahme
an einem rechtswidrigen Kriegseinsatz unter Strafandrohung durchzusetzen.
Im Rahmen eines bewaffneten Einsatzes greift der Staat so intensiv wie
irgend möglich in die Grundrechte der beteiligten Soldaten ein. Den
Soldaten wird zugemutet, für die Zwecke des Staates andere Personen
zu töten und im äußersten Fall ihr eigenes Leben zu opfern.
Die strafrechtliche Bewehrung dieses Eingriffs ist verfassungsrechtlich
nur zu rechtfertigen, wenn mit dem Eingriff rechtmäßige Ziele
verfolgt werden. Der Staat ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt berechtigt,
einen Soldaten zu zwingen, gegen seinen Willen und unter Einsatz seines
Lebens bei völkerrechtlich unerlaubten Handlungen mitzuwirken. Das
gilt auch für die Soldaten, die nicht unmittelbar an der Kriegsfront
eingesetzt werden. Unter den Bedingungen der modernen arbeitsteiligen Kriegführung
leisten die in der Logistik eingesetzten Soldaten einen für den militärischen
Erfolg ebenso wichtigen Dienst wie die Kampftruppen selbst. Schon die Anwesenheit
des Soldaten bei der Truppe und seine ständige Einsatzbereitschaft
kann für den Erfolg eines Krieges von Bedeutung sein. Der
einzelne Soldat braucht sich infolgedessen auch nicht darauf verweisen
zu lassen, einzelne als unverbindlich erkannte Befehle zu verweigern, sondern
ist berechtigt, sich straflos von der Truppe entfernen, sobald ihm angesonnen
wird, an einem rechtswidrigen Kriegseinsatz teilzunehmen. Anders
verhielte es sich allenfalls, dann, wenn sich aus Art. 4 Abs. 3 GG das
Recht ergäbe, den Kriegsdienst nicht nur allgemein, sondern situationsbedingt
im Hinblick auf bestimmte Einsätze zu verweigern und sich dadurch
der Teilnahme an einem rechtswidrigen Einsatz sofort kraft Rechtsaktes
zu entziehen. Das aber ist nach allgemeiner Auffassung nicht der Fall.
Eine Bestrafung wegen eigenmächtiger
Abwesenheit (§ 15 Abs. 1 WStG) kommt nicht in Betracht, wenn die Bestrafung
wegen Fahnenflucht aus den soeben beschriebenen Gründen ausgeschlossen
ist. Das Delikt der eigenmächtiger Abwesenheit wird vom Delikt der
Fahnenflucht verdrängt, wenn dessen äußerer und innerer
Tatbestand erfüllt ist und lediglich die objektive Bedingung der Strafbarkeit
fehlt. Im übrigen ist das Schutzgut des § 15 Abs. 1 WStG kein
anderes als das Schutzgut des § 16 Abs. 1 WStG.
2.
Der Einsatz der Bundeswehr gegen die Bundesrepublik Jugoslawien war objektiv
rechtswidrig, da er dem geltenden Völkerrecht zuwiderlief. Der Verstoß
berührte die allgemeinen Regeln des Völkerrechts.
a) Der Luftkrieg gegen die
Bundesrepublik Jugoslawien verletzte das absolute Gewaltverbot aus Art.
2 Nr. 4 UN-Charta. Das Gewaltverbot umfaßt jede Art der Anwendung
von Waffengewalt, die sich gegen die territoriale Integrität oder
die politische Unabhängigkeit eines anderen Staates richtet oder sich
mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht verträgt. Die
von der Charta der Vereinten Nationen ausdrücklich anerkannten Rechtfertigungsgründe
für gewaltsames militärisches Handeln waren nicht gegeben. Der
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte keine Ermächtigung zur
Durchführung des Einsatzes nach den Artt. 39, 42 UN-Charta erteilt.
Ein Fall der kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta lag
ebensowenig vor, da die Bundesrepublik Jugoslawien keinen bewaffneten Angriff
gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen geführt hatte. Daran vermochte
auch das gewaltsame Vorgehen des jugoslawischen Staates gegen die albanische
Volksgruppe im Kosovo nichts zu ändern. Menschenrechtsverletzungen,
die ein Staat gegen seine eigenen Bürger verübt, lassen sich
nach herkömmlichem Völkerrecht nicht mit einem Angriff auf einen
fremden Staat gleichsetzen. Weitere Ausnahmen vom Gewaltverbot kennt die
UN-Charta nicht.
b) Der Krieg gegen Jugoslawien
war auch nicht durch ungeschriebenes völkerrechtliches Gewohnheitsrecht
gedeckt. Soweit versucht wird, den Einsatz mit der Untätigkeit oder
auch Unfähigkeit des UN-Sicherheitsrates zur Einleitung von Maßnahmen
nach Kapitel VII der UN-Charta zu rechtfertigen, fehlt es bereits an den
tatsächlichen Voraussetzungen des behaupteten Rechtfertigungsgrundes.
Der
Krieg wurde begonnen, ohne die Beschlußfassung des Sicherheitsrates
auch nur abzuwarten. Im übrigen ist es nicht richtig, die Verhinderung
der erwünschten Beschlüsse durch das Veto eines ständigen
Mitglieds nach Art. 27 Abs. 3 UN-Charta gleichsam als Rechtsmißbrauch
zu werten, der die übrigen Staaten berechtigen soll, die Prärogative
des Sicherheitsrates zu übergehen und selbst die für notwendig
gehaltenen Maßnahmen zu ergreifen. Die ständige Mitgliedschaft
im Sicherheitsrat und das Vetorecht der ständigen Mitglieder wurden
ganz im Gegenteil bewußt geschaffen, um zu verhindern, daß
kriegerische Auseinandersetzungen über den Kopf der wichtigsten Staaten
hinweg angezettelt werden.
Der Rechtfertigungsgrund
der Nothilfe greift ebenfalls nicht ein. Dabei kann offenbleiben, ob die
humanitäre Intervention im ursprünglichen Sinne - die gewaltsame
Intervention eines Staates zur Rettung eigener Staatsbürger im Ausland
- völkerrechtlich zulässig wäre. Der Krieg gegen die Bundesrepublik
Jugoslawien wurde nicht zum Schutz eigener Staatsbürger geführt.
Auch die gelegentlich erwogene entsprechende Anwendung des Art. 51 UN-Charta
kommt nicht in Betracht. Der Einsatz verfolgte nicht
das Ziel, die albanische Bevölkerung des Kosovo unmittelbar in ihrer
militärischen Selbstverteidigung gegen Menschenrechtsverletzungen
durch den jugoslawischen Staat zu unterstützen. Dieser Zweck
hätte es erfordert, mit Bodentruppen in das Kampfgeschehen im Kosovo
einzugreifen. Tatsächlich wurde der Krieg aber als Luftkrieg auf dem
Territorium der serbischen Teilrepublik geführt und hatte das Ziel,
die Bundesrepublik Jugoslawien zu schwächen, um sie dadurch zu einer
Änderung ihrer Politik im Kosovo und zur Beendigung der dort begangenen
Menschenrechtsverletzungen zu zwingen.
Eine eigenmächtige Intervention
dieser Art ist nach dem geltenden Völkerrecht nicht zulässig,
auch wenn sie aus humanitären Motiven erfolgt. Sie widerstreitet der
Intention der UN-Charta, nach der eine gewaltsame Austragung internationaler
Konflikte außerhalb des institutionellen Systems kollektiver Sicherheit
nicht mehr möglich sein soll. Die UN-Charta hat die Gewaltanwendung
zwischen Staaten der Disposition der einzelnen Staaten schlechthin entzogen
und die Entscheidung den zuständigen Gremien der Vereinten Nationen
übertragen. Für individuell auszuübende Notrechte bleibt
daneben bis auf den in Art 51 UN-Charta gewährleisteten Restbestand
kein Raum. Die Gewaltanwendung gegen einen fremden Staat ohne Beteiligung
der UN Organe ist rechtswidrig, und es ist den einzelnen Mitgliedsstaaten
nicht gestattet, sich über dieses Verbot aufgrund einer Güterabwägung
hinwegzusetzen (vgl. etwa Simma/Randelzhofer, Charta of the United Nations
(1994), Art 2 Nr. 4, Rdn. 51; aA insbesondere Doehring., Völkerrecht
(1999), Rdn. 1008-1015). Der Grund dafür liegt nicht in erster Linie
darin, daß der prozedural ordnungsgemäß zustandegekommenen
Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat eine gesteigerte Richtigkeitsgewähr
zuzumessen wäre. Es kann auch keine Rede davon sein, daß dem
Sicherheitsrat die Funktion zukäme, darüber zu entscheiden, ob
eine Maßnahme materiell rechtmäßig oder unrechtmäßig
ist. Das kommt schon deshalb nicht in Frage, weil die ständige Mitgliedschaft
im Sicherheitsrat nicht an die rechtsstaatliche Verfaßtheit des jeweiligen
Mitglieds, sondern allein an dessen weltpolitisches Gewicht geknüpft
ist. Nach der Einschätzung, die den Regelungen
der UN-Charta zugrundeliegt, fällt vielmehr entscheidend ins Gewicht,
daß Kriegseinsätze - mit welcher Motivation auch immer - nicht
mehr im Widerspruch zu den mächtigsten, über Massenvernichtungsmittel
verfügenden Staaten der Erde geführt werden dürfen, mögen
diese Staaten auch politisch und menschenrechtlich nicht billigenswerte
Ziele verfolgen. Die UN-Charta hält die Gefährlichkeit eines
Krieges, der gegen den Willen einer Atommacht geführt wird, für
bedeutsamer als die Mißstände, die dieser Krieg im günstigsten
Fall beseitigen kann. Das geltende Völkerrecht hat an diesem
Grundsatz ebenso wie die Staatenpraxis seit 1945 festgehalten. Das mag
man für unbefriedigend halten, soweit dadurch die weltweite Verwirklichung
der Menschenrechte behindert wird. Die Entwicklung eines derogierenden
Gewohnheitsrechts ist aber bisher nicht zu erkennen.
Da der Einsatz der Bundeswehr
gegen die Bundesrepublik Jugoslawien von Beginn an gegen das geltende Völkerrecht
verstieß, kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, daß auch
die Art seiner Durchführung unter völkerrechtlichem Gesichtspunkt
schwersten Bedenken begegnet. Den für den Einsatz Verantwortlichen
soll im übrigen auch nicht unterstellt werden, daß sie den Einsatzbefehl
nicht in der achtenswerten Absicht erteilten, weitere Menschenrechtsverletzungen
bis hin zum Völkermord zu verhindern. Ob der Einsatzbefehl kriminelles
Unrecht darstellte, ist für die hier zu entscheidenden Fragen nicht
von Bedeutung.
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