"Die russische Luftwaffe hat ihre Angriffe
in Tschetschenien drastisch verringert. Die Luftwaffe habe ihre Aufgaben
zur Vernichtung von Stützpunkten der Rebellen grundsätzlich erfüllt,
meldete die Nachrichtenagentur Interfax am Freitag unter Berufung auf das
Militärkommando. Tschetschenische Separatisten haben indes nach eigenen
Angaben dem russischen Militär erhebliche Verluste zugefügt."
(dpa/Reuters)(1)
Eine Nachricht aus dem Krieg. Eine Nachricht
von vielen. Wir lesen sie und überlesen sie. Ihre eigentliche Aussage
kommt gar nicht mehr an uns heran. Wir wissen, es geht um Krieg, doch grausame
Bilder werden bei solchen Worten kaum wach. Es ist ein Krieg ohne Gesichter,
Tote und Leiden. Stützpunkte wurden vernichtet, Verluste zugefügt
- Sachschäden ohne menschliche Spuren. Die Angriffe wurden verringert,
die Aufgaben grundsätzlich erfüllt - Erfolge, deren Preis nicht
benannt wird.
Antje Krüger
Friedenstruppen
Marsch
Wie Krieg durch Sprache verharmlost wird
Der Krieg in den Zeitungen ist harmlos.
Täter kommen in ihm kaum noch vor, denn der Krieg wird geführt.
Opfer auch nicht - sie werden zu Kollateralschäden. Die Technik begeistert
und das Eigentliche, der Krieg, versteckt sich hinter Wörtern wie
humanitäre Intervention, Befreiung und Einsatz. Wieso wird verharmlost,
was an Brutalität nicht zu übertreffen ist? Geschieht dies gezielt
oder unbewusst? Welche Wirkung hinterlässt ein solcher Gebrauch von
Sprache?
Die Wirkung
von Sprache
Die Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel,
das uns zur Verfügung steht. Über sie treten wir in Kontakt miteinander,
erstellen ein Bild von uns und unseren Ansichten. Über sie können
wir versuchen zu überzeugen, zu beeinflussen oder uns zu rechtfertigen.
Und über sie erschließt sich wiederum für uns, wer unser
Gegenüber ist, was er denkt, möchte, wünscht. Dabei ist
die Sprache eines der Medien, die am schwersten erfassbar sind, denn ein
Großteil ihrer Wirkung vollzieht sich im Unterbewußtsein. Die
meisten Begriffe der Umgangs- und medialen Sprache sind dehnbar. Eine konkrete
Definition läßt sich aus dem Stegreif nur schwer finden. Die
weit gesteckten Bedeutungen vieler Wörter schwingen unmerklich in
unserer Wahrnehmung mit, rufen bestimmte Bilder oder Assoziationen hervor,
je nach dem, in welchem Kontext sie verwendet werden.(2)
Friedensmissionen, wurde uns bisher suggeriert, haben mit Frieden zu tun.
Dass sie in Kriegsgebieten stattfinden und häufig die Anwendung militärischer
Mittel einschließen, fällt bei der Verwendung des Wortes unter
den Tisch. Gerade aufgrund ihrer subtilen, schwer fassbaren Wirkung ist
Sprache sowohl besonders anfällig als auch besonders geeignet, um
Meinungen und Verhaltensweisen zu beeinflussen, schlicht zu manipulieren.
Nicht immer geschieht dies bewusst, und doch wird in allen Bereichen der
Gesellschaft täglich eine Auseinandersetzung darum geführt, mit
welchen Bedeutungen Wörter und Wendungen belegt werden. Die Medien
sind dabei das Transportmittel, das Bindeglied zwischen Politik, Wirtschaft,
Wissenschaft und Kultur mit ihren spezifischen Ausdrucksweisen sowie der
Umgangssprache - und somit der "normalen" Bevölkerung. Das außerordentlich
sensible Thema Krieg macht dies besonders deutlich. Medien geraten hier
immer wieder in die Kritik. Journalisten wird vorgeworfen, sie würden
durch ihre Berichterstattung helfen, Kriege vorzubereiten und zu führen
und hätten maßgeblichen Anteil an ihrem Verlauf. Doch es ist
in der Wissenschaft umstritten, wie hoch tatsächlich der Einfluss
der Medien auf Zustimmung und Ablehnung von Kriegen und deren Durchführung
ist. Vor allem im Bereich der in der jeweiligen Berichterstattung benutzten
Sprache gibt es hierzu keine einschlägigen Untersuchungen. So wurde
bisher weder erforscht, wie sich die von den Medien verwendete Sprache
des Krieges in der Alltagssprache und somit im Selbstverständnis der
Bevölkerung niederschlägt, noch ist geklärt worden, ob ein
bestimmter Sprachgebrauch wirklich ablehnende oder befürwortende Haltungen
der Bürger in Bezug auf Kriege hervorrufen kann. Es ist jedoch davon
auszugehen, dass die Bilder - egal ob in Bild- oder Schriftform - die von
den Medien vom Krieg vermittelt werden, Anteil daran haben, wie Kriege
in der Bevölkerung aufgenommen werden und welche Reaktionen sie hervorrufen.
Nicht umsonst werden Diskussionen um Zensur oder freie Berichterstattung
so heftig geführt.
Sprachliche
Manipulation
Es liegt seit jeher und weltweit im Interesse
von Politik und Militär, militärisches Eingreifen in Konflikte
zu rechtfertigen und zu legitimieren, sei es mit religiösen, nationalen,
ideologischen oder anderen "Begründungen". Ohne Unterstützung
und Rückhalt in der Bevölkerung ist kein Krieg zu führen.
Sprache und Bilder sind wichtige Instrumente, Kriegsbereitschaft oder zumindest
-akzeptanz zu erzeugen. Freund- und Feindbilder werden durch diese Instrumente
bestimmt, Zustimmung oder Ablehnung durch die Bevölkerung wird mit
ihnen erlangt. "Durch beschönigenden Wortgebrauch, euphemistische
Neologismen, Phraseologismen und Metaphern versuchen Regierungen und Militärs
ein gleichförmiges Verhalten und Denken zu schaffen, um die eigene
Herrschaftsausübung und einen Krieg zu legitimieren," schreibt Joachim
S. Heise, Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität
Hannover.(3) Sprachliche
Manipulation wird dabei durchaus bewusst eingesetzt. So besitzt die Bundeswehr
beispielsweise Terminologieausschüsse, die für die Namensgebung
neuer Waffentechnologie zuständig sind.(4)
Auch Pressemitteilungen der Militärs, des Außenministeriums
oder der NATO werden sprachlich sorgfältig von Spezialisten der Öffentlichkeitsarbeit
abgewogen. Ihre Weiterleitung und Weiterverbreitung dagegen durch die Sprachbenutzer
- die Journalisten aber auch die Nachrichtenkonsumenten - geschieht nicht
immer bewusst. Aus zwei wesentlichen Mechanismen heraus verharmlosen Politik
und Militär Kriege immer wieder. Denn ob von einem Krieg, einer Krise
oder einem Konflikt geredet wird, entspricht jeweils politischem Kalkül
und Sichtweise. Wird ein Krieg nur als eine Krise verkauft, muss nicht
sofort politisch Stellung bezogen, geschweige denn, über andere mögliche
Maßnahmen entschieden werden. Jugoslawien war aus westlicher Sicht
lange Zeit nur ein "Krisenherd", bis "Konflikte entbrannten". Als die organisierte
und bewaffnete Aggression schon so offensichtlich wurde, dass sie nicht
mehr zu leugnen war, wurde von "bürgerkriegsähnlichen Zuständen"
gesprochen - eine innerstaatliche Angelegenheit. Ähnliche sprachliche
Umschreibungen lassen sich heute wieder im Fall des Krieges in Tschetschenien
beobachten. Verharmlosung also, um den Zeitpunkt von Stellungnahme und
möglichem Eingreifen hinauszuzögern. Zudem Verharmlosungen jedoch
auch dazu, militärisches Eingreifen zu rechtfertigen und zu legitimieren.
"Friedensoperationen aus humanitären Gründen" stoßen in
der öffentlichen Meinung eher auf Zustimmung, als die harte Wahrheit,
in einen Krieg zu ziehen, aus welchem Grund auch immer. "Der auf Frieden
gestimmten Öffentlichkeit ist seit dem Entstehen der Friedensbewegung
Krieg als Krieg nicht mehr vermittelbar", sagt Heidrun Kämper, Sprachwissenschaftlerin
am Institut für Deutsche Sprache.(5)
"Weiche" Freunde
- "harte" Feinde
Um Zustimmung für ein mögliches
Eingreifen in einen Krieg zu erlangen, wird verstärkt auf eine "Freund-Feind-Trennung"
zurückgegriffen, eine "wir-sie-Asymetrie". Sie drückt sich über
die Verwendung sogenannter harter und weicher Sprache aus. Dabei ist es
nicht einmal von Nöten, unmittelbar am Krieg beteiligt zu sein. Auch
Sympathien vermitteln sich auf diese Weise. Harte Sprache wird verwendet,
um den Gegner mit negativen Attributen zu kennzeichnen. "Mit der Eskalation
der Gewalt im Kosovo war auch eine Verschärfung des Tones gegen das
Milosevic-Regime zu beobachten 'Völkermord', 'Konzentrationslager',
'Nazi-Herrschaft', 'Auschwitz' waren Vokabeln, die besonders von Verteidigungsminister
Rudolf Scharping zu hören waren. Die Gründe für diese 'harte
Sprache' liegen auf der Hand: Die Luftangriffe mit deutscher Beteiligung
waren in der Öffentlichkeit sehr umstritten, deshalb standen die Politiker
in der öffentlichen Meinung unter Druck: Sie mussten ihr Handeln rechtfertigen
- und dazu brauchten sie die Sprache. Wenn man jemandem Völkermord
vorwirft, betont man sogleich die Richtigkeit des eigenen Handelns."(6)
Doch es ist nicht nur der Völkermordvorwurf, der eigenes Handeln rechtfertigt.
Die Verwendung von weicher Sprache und positiv besetzten Begriffen zur
Kennzeichnung der eigenen Taten verstärkt dies noch. "Humanitäre
Einsätze von UN-Friedenstruppen" - und neuerdings, so suggerierte
das Hauptquartier in Brüssel, auch von NATO-Truppen - erwecken den
Eindruck, als seien Soldaten nur in Sachen Frieden unterwegs, ohne Gefahr,
ohne Tod und Grausamkeit. Sie "retten" und "befreien", während der
Gegner "unterwirft" und "mordet", sie führen "Luftschläge" durch,
während der Feind "bombardiert." Es gibt viele sprachliche Möglichkeiten,
den Krieg zu verharmlosen, um ihn salonfähig zu machen. Sie alle zielen
auf die subtile Wirkung von Sprache. Wer manipulieren will, macht sich
zunutze, dass Wörter verwendet werden, deren Sinn nicht genau erfasst
und deren eigentliche Aussage vom Rezipienten nicht hinterfragt wird. Sie
hinterlassen ein unbestimmtes Gefühl, dass uns zumeist reicht, um
zu glauben, wir hätten verstanden, was gemeint ist.
Experteneinerlei
Fachwörter, Fremdwörter oder Abkürzungen
vor allem der militärischen Sprache sind für diese subtile Manipulation
wie geschaffen. Treten sie zwischen Fachleuten und Laien auf, haben sie
eine verschleiernde Wirkung, ja können gezielt desinformieren. Wer
weiss schon genau, was mit "nuklearstrategischer Parität" gemeint
ist. Eine solche Expertensprache suggeriert Kompetenzvorsprung: Autorität
wird geschaffen, die der unwissende Leser, der nicht nachzufragen wagt,
ohne Weiteres akzeptiert. Ähnliches geschieht, wenn ein Arzt in seiner
Fachsprache die Diagnose stellt - der Patient respektiert die Analyse des
Fachmannes, hat aber letztendlich nichts verstanden. Expertensprache schafft
nicht nur Distanz, sie wirkt auch beruhigend. "Fachausdrücke haben
etwas ungemein Beschwichtigendes. Sie entschärfen. Sie sagen, nur
keine Aufregung, die Sache ist sicher in der Hand von Experten," schreibt
Uwe Pörksen, Professor für Germanistik am Deutschen Seminar der
Universität Freiburg.(7)
Und so nimmt man hin, wenn Experten in Strategiepapieren feststellen: "Ein
glaubwürdiges nukleares Streitkräftedispositiv des Bündnisses
und die Disposition von Bündnissolidarität (...) erfordern auch
in Zukunft eine breite Teilhabe in die kollektive Verteidigungsplanung
involvierter europäischer Bündnispartner an nuklearen Aufgaben."(8)
Sie werden schon wissen, wovon sie reden. Journalisten übernehmen
häufig Fachausdrücke. Oft zitieren sie direkt, ohne nachträglich
zu erklären. Oder aber sie "schwingen" sich durch den Gebrauch von
Fach- und Fremdwörtern selbst zu (vermeintlichen oder wirklichen)
Experten auf. Man will sich nicht die Blöße geben, Zeitdruck
kommt hinzu. "Sprachakrobatik macht den Schreiber groß und die Sache
klein", kritisiert Monika Lungmus ihre eigene Zunft.(9)
Widersprüche
Ähnliches gilt für die Bildung und
Verwendung sich eigentlich widersprechender Wörter. Schon genannt
wurden die Friedensmissionen, denn die Befriedung eines Landes läuft
selten so friedlich ab, wie das Wort suggeriert. Ganz zynisch wird es bei
der Benennung US-amerikanischer Atomraketen als "Peacekeeper". Der Widerspruch
scheint offensichtlich und wird doch bei der normalen Zeitungslektüre
einfach hingenommen, ja in Gesprächen sogar weitergetragen. Denn der
Mensch besitzt die schizophrene Fähigkeit, sich mit solchen Widersprüchen
abzufinden. Eine weitere Möglichkeit zu verharmlosen, wird viel in
der deutschen Sprache verwendet: die Benutzung des Passivs. Keiner schießt
direkt - es wird nur geschossen oder schlimmer noch, Schusswaffen kommen
zur Anwendung. Täter müssen somit nicht genannt werden. An ihre
Stelle treten Zahlen und unpersönliche Formen: 150 Einsätze wurden
geflogen, mit Verlusten muss gerechnet werden. Und die Tat ist etwas, was
scheinbar unweigerlich geschieht, man hat keinen Einfluss darauf. Der Krieg
wird entpersonifiziert. Er hat kein menschliches Gesicht mehr, keine Opfer
- weder auf Täter- noch auf Opferseite. Es treten nur Sachschäden
auf. Der Tod wird mit "Verlusten", "zivilen Schäden" oder "Ausschaltungen"
umschrieben, Grausamkeiten so ästhetisiert, dass sie auch als Frühstückslektüre
leicht verdaulich sind.
Das Spiel der
Assoziationen
Die subtilste Form sprachlicher Manipulation
läuft jedoch über das Spiel mit Assoziationen ab, ein Spiel,
dass sowohl mit der Verwendung von Metaphern als auch über Verallgemeinerungen
funktioniert. Metaphern schaffen Parallelen: Kampfbomber, die Tornado heißen,
stehen für Naturkatastrofen und für die kann bekanntlich keiner
etwas. Ein Panzer mit dem Namen Leopard ist etwas Lebendiges, schnell,
ausdauernd, wendig, wenn auch ein Raubtier - aber es ist ja Krieg. Diese
Parallelen werden beim alltäglichen Sprachgebrauch nicht bewusst gezogen,
doch sie schwingen im Unterbewusstsein mit. Gerade im militärischen
Bereich ist es besonders auffällig, dass bevorzugt Tiernamen verwendet
werden. Sämtliche Panzertypen wurden mit Raubtiernamen bedacht - Lebloses,
ja Lebensvernichtendes wird hier mit Lebendigem auf eine Stufe gestellt.
Und Bomber erhalten Namen von Naturereignissen, die Kriege somit als unvermeidliche
Tatsache suggerieren, die niemand zu verantworten hat.(10)
Ganz zynisch wird es, wenn Waffen verniedlicht werden. So hieß beispielsweise
die Atombombe, die die Amerikaner auf Hiroshima abwarfen, "Little boy".(11)
Auch Verallgemeinerungen rufen Assoziationen hervor. Eine "Operation" kann
genauso ein chirurgischer wie ein militärischer Eingriff sein; ein
"Flugkörper" kann alles mögliche sein: ein (Passagier)Flugzeug,
eine Silvesterrakete oder eine Bombe. Bezeichnungen wie Auftrag, Einsatz,
Konflikt, Lösung oder Schaden haben eine sehr breite, auch nichtmilitärische
Bedeutung. Es wird mit diesen Begriffen damit die spezifische, finstere
Einmaligkeit des Krieges genommen, denn sie sind im alltäglichen Sprachgebrauch
fest verankert. So wird auch Krieg alltäglich. "Die Sprache des Überblicks
verführt dazu, das Wichtigste zu übersehen. Sie verdeckt in ihrer
menschenleeren Objektivität die Leiden, entzieht die Wirklichkeit
den Sinnen."(12)
Geschlossene
Systeme - die Eigendynamik der Sprache
Nicht all diese Verharmlosungen werden von
Politik und Militär immer nur bewusst in Szene gesetzt, auch wenn
davon ausgegangen werden muss, dass sämtliche öffentliche Erklärungen,
Auftritte und Mitteilungen sprachlich mit größter Sorgfalt abgewogen
werden. Aber Sprache besitzt auch immer eine Eigendynamik. Vor allem in
den geschlossenen Sprachsystemen bestimmter Personen- und Berufskreise
(in diesem Fall Militär, Politik und Medien) denken die Beteiligten
irgendwann in den sprachlichen Kategorien, die sie selbst erschaffen haben.(13)
Immer gleiche Phrasen und Wendungen geben Sicherheit, nichts "Falsches"
zu sagen. Sprachmuster gehen in den Alltagsgebrauch und somit in den Kreislauf
der Sprache von Politik/Militär, Medien und Umgangssprache über,
deren Sprachfelder sich durch Rückkopplungsprozesse gegenseitig bedingen
und beeinflussen. So werden einmal bewusst in Szene gesetzte Worte und
Wendungen beim persönlichen Gebrauch unbewusst als Ausdruck der eigenen
Haltung wiedergegeben. "Nicht jeder Euphemismus wird bewusst genutzt,"
sagt der Sprachwissenschaftler Martin Wengeler. "Viele entstehen aus bestimmten
politischen Überzeugungen, andere aus der Notwendigkeit, allzu Grausames
abzuschwächen oder sie entwickeln sich aus bestimmten Argumentationsmustern
heraus."(14)
Krieg und Medien
Trotzdem bleibt unbestritten, dass Sprache
von Politikern und Militär gerade in Kriegszeiten bewußt eingesetzt
wird, um Gefühle zu schüren, Ablehnung oder Zustimmung zu schaffen
und Mehrheiten für oder gegen einen Krieg zu gewinnen. Was aber haben
die Medien damit zu tun? Haben sie ein Interesse daran, das "Spiel mit
den Wörtern" mitzuspielen oder sind sie selbst Opfer der subtilen
Wirkung sprachlicher Wendungen? Es liegt wohl kaum in der Absicht eines
einzelnen Journalisten, zu verdummen, zu täuschen oder zu verharmlosen.
"Das Fatale an unserem Beruf ist, dass wir Journalisten immer in der Gefahr
sind, zu solcher Propaganda beizutragen und solche Wirkungsmechanismen
im Publikum zu betätigen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Vor allem,
wenn wir gezwungen sind, sehr schnell zu arbeiten, können wir oft
die Behauptungen, die wir dem Leser, Hörer, Zuschauer übermitteln,
nicht hinreichend überdenken und überprüfen, so dass uns
nicht klar wird, was wir damit anrichten können," schreibt Eckart
Spoo aus eigener Erfahrung.(15)
Kaum noch ein Wort, das nicht manipuliert. Dazu der immer stärkere
Druck, die Nachrichten so aktuell wie möglich zu liefern, der keine
Zeit zum Nachdenken lässt. Und so werden Agenturmeldungen oder offizielle
Pressemitteilungen wortwörtlich übernommen, ihre Bedeutungen
kaum noch hinterfragt. Wie in jedem geschlossenen Sprachsystem gewöhnen
sich auch Journalisten an bestimmte Sprachregelungen. Was genehm ist und
was nicht, zeigt der Redigierstift des Chefredakteurs. Fehlende Diskussionen
zu aktuellen Problemen in den Redaktionen, dafür stumme und schematische
Arbeit der einzelnen Autoren tragen zum unkritischen Rückgriff auf
Agenturmaterial noch zusätzlich bei. Jedoch muss die Rolle der Medien
differenziert betrachtet werden. So finden sich natürlich Medien,
die "Kampfeinsätze" befürworten und für ihre Argumentationen
bereitwillig die sprachlichen Mittel offizieller Pressemitteilungen übernehmen.
Von ihnen wird Kritik kaum zu erwarten sein. Doch lassen sich spätestens
seit dem Golfkrieg, der auch dem Krieg in den Medien eine neue Dimension
gab(16), erste Anfänge
eines sensibleren Umgangs mit der Sprache der Kriegsberichterstattung ausfindig
machen. Die öffentliche Ächtung von Wörtern wie "Kollateralschaden"
und "ethnische Säuberung" während des Kosovo-Krieges ist ein
weiterer Schritt, sprachliche Manipulation nicht mehr ohne Weiteres hinzunehmen.
Es ist an jedem Einzelnen, Texte nicht mehr unkritisch zu lesen, sondern
sprachlichen Manipulationen gegenüber aufmerksamer zu werden. Dazu
ist jedoch erst einmal Aufklärung über die Mechanismen sprachlicher
Beeinflussung nötig. Nur wenn man in der Lage ist zu erkennen, wie
Freund- und Feindbilder gezeichnet werden, wann Wörter ihren eigentlichen
Bedeutungen widersprechen und etwas ganz Anderes suggerieren, wann verschleiert
wird, indem auf Generalisierungen oder Metaphern zurückgegriffen wird
oder wenn "Expertenlatein" so überhand nimmt, dass die dahintersteckende
Information gar nicht mehr wahrgenommen wird, kann man auch versuchen,
andere sprachliche Kategorien aufzustellen und nicht in allgemein gebrauchte
Argumentationsmuster zu verfallen. Doch dies ist ein langer Weg, der bei
jeder Zeitungslektüre erneut angetreten werden muss. Immerhin, so
schätzt Gerhard Müller von der Gesellschaft für Deutsche
Sprache die Lage ein, ist ein Teil der Öffentlichkeit kritischer geworden,
seit Deutschland sich auch wieder an Kriegen beteiligt: "Flugblätter,
Mahnwachen und Broschüren zeigen, dass man aufmerksamer geworden ist
und sprachliche Waffen genauer und schärfer erkennt als früher."(17)
Anmerkungen:
(1) Kurzmeldung aus: Neues Deutschland
29./30.04.2000, S.5
(2) Merten, Klaus: Kommunikation - eine
Begriffs- und Prozeßanalyse. Opladen, 1977
(3) Heise, Joachim S: Reden über
den Krieg - reden im Krieg. Eine linguistische Annäherung an den Ersten
Weltkrieg. In: Muttersprache 2/2000, S.101
(4) Buschmann, Matthias: Zur militärischen
Onomastik und Terminologie. In: Muttersprache 3/95, S.212
(5) Heidrun Kämper im Interview mit
der Autorin
(6) ZDF-Sendung vom 23.03.2000, nachzulesen
im Internet unter http://w3.zdf.msnbc.de/news/51102.asp
(7) Pörksen, Uwe: Die totale Entwirklichung
- Zur Sprache der Kriegsberichterstattung. In: Tacho 2/1991 Krieg, Sprache,
Medien, S.28f
(8) Nato-Strategiekonzept vom April 1999,
Punkt 63. In: Berliner Zeitung vom 13.07.2000, S.7
(9) Lungmus, Monika: Sprachnotstand. In:
Journalist 3/1991, S.16
(10) Buschmann, a.a.O., S.216
(11) ebenda
(12) Pörksen, a.a.O., S.24
(13) Cohn, Carol: A Feminist Spy in the
House of Death: Unraveling the Language of Strategic Analysis. In: Isaksson,
Eva (Hrsg.): Women and the Military System, New York 1988, S.288f
(14) Martin Wengeler im Interview mit
der Autorin
(15) Spoo, Eckart: Freund- und Feindbilder
in der Presse. In: Psychologische Mobilmachung. Forum für Verhaltenstherapie
und psychosoziale Praxis, Tübingen, 1983, S.188f
(16) Liedke, Anja: Zur Sprache der Berichterstattung
in den Kriegen am Golf und in Jugoslawien. Frankfurt am Main, 1994
(17) Gerhard Müller im Interview
mit der Autorin