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Ausgabe 8-9/00   Seite 45ff

"Die russische Luftwaffe hat ihre Angriffe in Tschetschenien drastisch verringert. Die Luftwaffe habe ihre Aufgaben zur Vernichtung von Stützpunkten der Rebellen grundsätzlich erfüllt, meldete die Nachrichtenagentur Interfax am Freitag unter Berufung auf das Militärkommando. Tschetschenische Separatisten haben indes nach eigenen Angaben dem russischen Militär erhebliche Verluste zugefügt." (dpa/Reuters)(1)

Eine Nachricht aus dem Krieg. Eine Nachricht von vielen. Wir lesen sie und überlesen sie. Ihre eigentliche Aussage kommt gar nicht mehr an uns heran. Wir wissen, es geht um Krieg, doch grausame Bilder werden bei solchen Worten kaum wach. Es ist ein Krieg ohne Gesichter, Tote und Leiden. Stützpunkte wurden vernichtet, Verluste zugefügt - Sachschäden ohne menschliche Spuren. Die Angriffe wurden verringert, die Aufgaben grundsätzlich erfüllt - Erfolge, deren Preis nicht benannt wird.

Antje Krüger

Friedenstruppen Marsch

Wie Krieg durch Sprache verharmlost wird
 

Der Krieg in den Zeitungen ist harmlos. Täter kommen in ihm kaum noch vor, denn der Krieg wird geführt. Opfer auch nicht - sie werden zu Kollateralschäden. Die Technik begeistert und das Eigentliche, der Krieg, versteckt sich hinter Wörtern wie humanitäre Intervention, Befreiung und Einsatz. Wieso wird verharmlost, was an Brutalität nicht zu übertreffen ist? Geschieht dies gezielt oder unbewusst? Welche Wirkung hinterlässt ein solcher Gebrauch von Sprache?

Die Wirkung von Sprache

Die Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel, das uns zur Verfügung steht. Über sie treten wir in Kontakt miteinander, erstellen ein Bild von uns und unseren Ansichten. Über sie können wir versuchen zu überzeugen, zu beeinflussen oder uns zu rechtfertigen. Und über sie erschließt sich wiederum für uns, wer unser Gegenüber ist, was er denkt, möchte, wünscht. Dabei ist die Sprache eines der Medien, die am schwersten erfassbar sind, denn ein Großteil ihrer Wirkung vollzieht sich im Unterbewußtsein. Die meisten Begriffe der Umgangs- und medialen Sprache sind dehnbar. Eine konkrete Definition läßt sich aus dem Stegreif nur schwer finden. Die weit gesteckten Bedeutungen vieler Wörter schwingen unmerklich in unserer Wahrnehmung mit, rufen bestimmte Bilder oder Assoziationen hervor, je nach dem, in welchem Kontext sie verwendet werden.(2) Friedensmissionen, wurde uns bisher suggeriert, haben mit Frieden zu tun. Dass sie in Kriegsgebieten stattfinden und häufig die Anwendung militärischer Mittel einschließen, fällt bei der Verwendung des Wortes unter den Tisch. Gerade aufgrund ihrer subtilen, schwer fassbaren Wirkung ist Sprache sowohl besonders anfällig als auch besonders geeignet, um Meinungen und Verhaltensweisen zu beeinflussen, schlicht zu manipulieren. Nicht immer geschieht dies bewusst, und doch wird in allen Bereichen der Gesellschaft täglich eine Auseinandersetzung darum geführt, mit welchen Bedeutungen Wörter und Wendungen belegt werden. Die Medien sind dabei das Transportmittel, das Bindeglied zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur mit ihren spezifischen Ausdrucksweisen sowie der Umgangssprache - und somit der "normalen" Bevölkerung. Das außerordentlich sensible Thema Krieg macht dies besonders deutlich. Medien geraten hier immer wieder in die Kritik. Journalisten wird vorgeworfen, sie würden durch ihre Berichterstattung helfen, Kriege vorzubereiten und zu führen und hätten maßgeblichen Anteil an ihrem Verlauf. Doch es ist in der Wissenschaft umstritten, wie hoch tatsächlich der Einfluss der Medien auf Zustimmung und Ablehnung von Kriegen und deren Durchführung ist. Vor allem im Bereich der in der jeweiligen Berichterstattung benutzten Sprache gibt es hierzu keine einschlägigen Untersuchungen. So wurde bisher weder erforscht, wie sich die von den Medien verwendete Sprache des Krieges in der Alltagssprache und somit im Selbstverständnis der Bevölkerung niederschlägt, noch ist geklärt worden, ob ein bestimmter Sprachgebrauch wirklich ablehnende oder befürwortende Haltungen der Bürger in Bezug auf Kriege hervorrufen kann. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Bilder - egal ob in Bild- oder Schriftform - die von den Medien vom Krieg vermittelt werden, Anteil daran haben, wie Kriege in der Bevölkerung aufgenommen werden und welche Reaktionen sie hervorrufen. Nicht umsonst werden Diskussionen um Zensur oder freie Berichterstattung so heftig geführt.

Sprachliche Manipulation

Es liegt seit jeher und weltweit im Interesse von Politik und Militär, militärisches Eingreifen in Konflikte zu rechtfertigen und zu legitimieren, sei es mit religiösen, nationalen, ideologischen oder anderen "Begründungen". Ohne Unterstützung und Rückhalt in der Bevölkerung ist kein Krieg zu führen. Sprache und Bilder sind wichtige Instrumente, Kriegsbereitschaft oder zumindest -akzeptanz zu erzeugen. Freund- und Feindbilder werden durch diese Instrumente bestimmt, Zustimmung oder Ablehnung durch die Bevölkerung wird mit ihnen erlangt. "Durch beschönigenden Wortgebrauch, euphemistische Neologismen, Phraseologismen und Metaphern versuchen Regierungen und Militärs ein gleichförmiges Verhalten und Denken zu schaffen, um die eigene Herrschaftsausübung und einen Krieg zu legitimieren," schreibt Joachim S. Heise, Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Hannover.(3) Sprachliche Manipulation wird dabei durchaus bewusst eingesetzt. So besitzt die Bundeswehr beispielsweise Terminologieausschüsse, die für die Namensgebung neuer Waffentechnologie zuständig sind.(4) Auch Pressemitteilungen der Militärs, des Außenministeriums oder der NATO werden sprachlich sorgfältig von Spezialisten der Öffentlichkeitsarbeit abgewogen. Ihre Weiterleitung und Weiterverbreitung dagegen durch die Sprachbenutzer - die Journalisten aber auch die Nachrichtenkonsumenten - geschieht nicht immer bewusst. Aus zwei wesentlichen Mechanismen heraus verharmlosen Politik und Militär Kriege immer wieder. Denn ob von einem Krieg, einer Krise oder einem Konflikt geredet wird, entspricht jeweils politischem Kalkül und Sichtweise. Wird ein Krieg nur als eine Krise verkauft, muss nicht sofort politisch Stellung bezogen, geschweige denn, über andere mögliche Maßnahmen entschieden werden. Jugoslawien war aus westlicher Sicht lange Zeit nur ein "Krisenherd", bis "Konflikte entbrannten". Als die organisierte und bewaffnete Aggression schon so offensichtlich wurde, dass sie nicht mehr zu leugnen war, wurde von "bürgerkriegsähnlichen Zuständen" gesprochen - eine innerstaatliche Angelegenheit. Ähnliche sprachliche Umschreibungen lassen sich heute wieder im Fall des Krieges in Tschetschenien beobachten. Verharmlosung also, um den Zeitpunkt von Stellungnahme und möglichem Eingreifen hinauszuzögern. Zudem Verharmlosungen jedoch auch dazu, militärisches Eingreifen zu rechtfertigen und zu legitimieren. "Friedensoperationen aus humanitären Gründen" stoßen in der öffentlichen Meinung eher auf Zustimmung, als die harte Wahrheit, in einen Krieg zu ziehen, aus welchem Grund auch immer. "Der auf Frieden gestimmten Öffentlichkeit ist seit dem Entstehen der Friedensbewegung Krieg als Krieg nicht mehr vermittelbar", sagt Heidrun Kämper, Sprachwissenschaftlerin am Institut für Deutsche Sprache.(5)

"Weiche" Freunde - "harte" Feinde

Um Zustimmung für ein mögliches Eingreifen in einen Krieg zu erlangen, wird verstärkt auf eine "Freund-Feind-Trennung" zurückgegriffen, eine "wir-sie-Asymetrie". Sie drückt sich über die Verwendung sogenannter harter und weicher Sprache aus. Dabei ist es nicht einmal von Nöten, unmittelbar am Krieg beteiligt zu sein. Auch Sympathien vermitteln sich auf diese Weise. Harte Sprache wird verwendet, um den Gegner mit negativen Attributen zu kennzeichnen. "Mit der Eskalation der Gewalt im Kosovo war auch eine Verschärfung des Tones gegen das Milosevic-Regime zu beobachten 'Völkermord', 'Konzentrationslager', 'Nazi-Herrschaft', 'Auschwitz' waren Vokabeln, die besonders von Verteidigungsminister Rudolf Scharping zu hören waren. Die Gründe für diese 'harte Sprache' liegen auf der Hand: Die Luftangriffe mit deutscher Beteiligung waren in der Öffentlichkeit sehr umstritten, deshalb standen die Politiker in der öffentlichen Meinung unter Druck: Sie mussten ihr Handeln rechtfertigen - und dazu brauchten sie die Sprache. Wenn man jemandem Völkermord vorwirft, betont man sogleich die Richtigkeit des eigenen Handelns."(6) Doch es ist nicht nur der Völkermordvorwurf, der eigenes Handeln rechtfertigt. Die Verwendung von weicher Sprache und positiv besetzten Begriffen zur Kennzeichnung der eigenen Taten verstärkt dies noch. "Humanitäre Einsätze von UN-Friedenstruppen" - und neuerdings, so suggerierte das Hauptquartier in Brüssel, auch von NATO-Truppen - erwecken den Eindruck, als seien Soldaten nur in Sachen Frieden unterwegs, ohne Gefahr, ohne Tod und Grausamkeit. Sie "retten" und "befreien", während der Gegner "unterwirft" und "mordet", sie führen "Luftschläge" durch, während der Feind "bombardiert." Es gibt viele sprachliche Möglichkeiten, den Krieg zu verharmlosen, um ihn salonfähig zu machen. Sie alle zielen auf die subtile Wirkung von Sprache. Wer manipulieren will, macht sich zunutze, dass Wörter verwendet werden, deren Sinn nicht genau erfasst und deren eigentliche Aussage vom Rezipienten nicht hinterfragt wird. Sie hinterlassen ein unbestimmtes Gefühl, dass uns zumeist reicht, um zu glauben, wir hätten verstanden, was gemeint ist.

Experteneinerlei

Fachwörter, Fremdwörter oder Abkürzungen vor allem der militärischen Sprache sind für diese subtile Manipulation wie geschaffen. Treten sie zwischen Fachleuten und Laien auf, haben sie eine verschleiernde Wirkung, ja können gezielt desinformieren. Wer weiss schon genau, was mit "nuklearstrategischer Parität" gemeint ist. Eine solche Expertensprache suggeriert Kompetenzvorsprung: Autorität wird geschaffen, die der unwissende Leser, der nicht nachzufragen wagt, ohne Weiteres akzeptiert. Ähnliches geschieht, wenn ein Arzt in seiner Fachsprache die Diagnose stellt - der Patient respektiert die Analyse des Fachmannes, hat aber letztendlich nichts verstanden. Expertensprache schafft nicht nur Distanz, sie wirkt auch beruhigend. "Fachausdrücke haben etwas ungemein Beschwichtigendes. Sie entschärfen. Sie sagen, nur keine Aufregung, die Sache ist sicher in der Hand von Experten," schreibt Uwe Pörksen, Professor für Germanistik am Deutschen Seminar der Universität Freiburg.(7) Und so nimmt man hin, wenn Experten in Strategiepapieren feststellen: "Ein glaubwürdiges nukleares Streitkräftedispositiv des Bündnisses und die Disposition von Bündnissolidarität (...) erfordern auch in Zukunft eine breite Teilhabe in die kollektive Verteidigungsplanung involvierter europäischer Bündnispartner an nuklearen Aufgaben."(8) Sie werden schon wissen, wovon sie reden. Journalisten übernehmen häufig Fachausdrücke. Oft zitieren sie direkt, ohne nachträglich zu erklären. Oder aber sie "schwingen" sich durch den Gebrauch von Fach- und Fremdwörtern selbst zu (vermeintlichen oder wirklichen) Experten auf. Man will sich nicht die Blöße geben, Zeitdruck kommt hinzu. "Sprachakrobatik macht den Schreiber groß und die Sache klein", kritisiert Monika Lungmus ihre eigene Zunft.(9)

Widersprüche

Ähnliches gilt für die Bildung und Verwendung sich eigentlich widersprechender Wörter. Schon genannt wurden die Friedensmissionen, denn die Befriedung eines Landes läuft selten so friedlich ab, wie das Wort suggeriert. Ganz zynisch wird es bei der Benennung US-amerikanischer Atomraketen als "Peacekeeper". Der Widerspruch scheint offensichtlich und wird doch bei der normalen Zeitungslektüre einfach hingenommen, ja in Gesprächen sogar weitergetragen. Denn der Mensch besitzt die schizophrene Fähigkeit, sich mit solchen Widersprüchen abzufinden. Eine weitere Möglichkeit zu verharmlosen, wird viel in der deutschen Sprache verwendet: die Benutzung des Passivs. Keiner schießt direkt - es wird nur geschossen oder schlimmer noch, Schusswaffen kommen zur Anwendung. Täter müssen somit nicht genannt werden. An ihre Stelle treten Zahlen und unpersönliche Formen: 150 Einsätze wurden geflogen, mit Verlusten muss gerechnet werden. Und die Tat ist etwas, was scheinbar unweigerlich geschieht, man hat keinen Einfluss darauf. Der Krieg wird entpersonifiziert. Er hat kein menschliches Gesicht mehr, keine Opfer - weder auf Täter- noch auf Opferseite. Es treten nur Sachschäden auf. Der Tod wird mit "Verlusten", "zivilen Schäden" oder "Ausschaltungen" umschrieben, Grausamkeiten so ästhetisiert, dass sie auch als Frühstückslektüre leicht verdaulich sind.

Das Spiel der Assoziationen

Die subtilste Form sprachlicher Manipulation läuft jedoch über das Spiel mit Assoziationen ab, ein Spiel, dass sowohl mit der Verwendung von Metaphern als auch über Verallgemeinerungen funktioniert. Metaphern schaffen Parallelen: Kampfbomber, die Tornado heißen, stehen für Naturkatastrofen und für die kann bekanntlich keiner etwas. Ein Panzer mit dem Namen Leopard ist etwas Lebendiges, schnell, ausdauernd, wendig, wenn auch ein Raubtier - aber es ist ja Krieg. Diese Parallelen werden beim alltäglichen Sprachgebrauch nicht bewusst gezogen, doch sie schwingen im Unterbewusstsein mit. Gerade im militärischen Bereich ist es besonders auffällig, dass bevorzugt Tiernamen verwendet werden. Sämtliche Panzertypen wurden mit Raubtiernamen bedacht - Lebloses, ja Lebensvernichtendes wird hier mit Lebendigem auf eine Stufe gestellt. Und Bomber erhalten Namen von Naturereignissen, die Kriege somit als unvermeidliche Tatsache suggerieren, die niemand zu verantworten hat.(10) Ganz zynisch wird es, wenn Waffen verniedlicht werden. So hieß beispielsweise die Atombombe, die die Amerikaner auf Hiroshima abwarfen, "Little boy".(11) Auch Verallgemeinerungen rufen Assoziationen hervor. Eine "Operation" kann genauso ein chirurgischer wie ein militärischer Eingriff sein; ein "Flugkörper" kann alles mögliche sein: ein (Passagier)Flugzeug, eine Silvesterrakete oder eine Bombe. Bezeichnungen wie Auftrag, Einsatz, Konflikt, Lösung oder Schaden haben eine sehr breite, auch nichtmilitärische Bedeutung. Es wird mit diesen Begriffen damit die spezifische, finstere Einmaligkeit des Krieges genommen, denn sie sind im alltäglichen Sprachgebrauch fest verankert. So wird auch Krieg alltäglich. "Die Sprache des Überblicks verführt dazu, das Wichtigste zu übersehen. Sie verdeckt in ihrer menschenleeren Objektivität die Leiden, entzieht die Wirklichkeit den Sinnen."(12)

Geschlossene Systeme - die Eigendynamik der Sprache

Nicht all diese Verharmlosungen werden von Politik und Militär immer nur bewusst in Szene gesetzt, auch wenn davon ausgegangen werden muss, dass sämtliche öffentliche Erklärungen, Auftritte und Mitteilungen sprachlich mit größter Sorgfalt abgewogen werden. Aber Sprache besitzt auch immer eine Eigendynamik. Vor allem in den geschlossenen Sprachsystemen bestimmter Personen- und Berufskreise (in diesem Fall Militär, Politik und Medien) denken die Beteiligten irgendwann in den sprachlichen Kategorien, die sie selbst erschaffen haben.(13) Immer gleiche Phrasen und Wendungen geben Sicherheit, nichts "Falsches" zu sagen. Sprachmuster gehen in den Alltagsgebrauch und somit in den Kreislauf der Sprache von Politik/Militär, Medien und Umgangssprache über, deren Sprachfelder sich durch Rückkopplungsprozesse gegenseitig bedingen und beeinflussen. So werden einmal bewusst in Szene gesetzte Worte und Wendungen beim persönlichen Gebrauch unbewusst als Ausdruck der eigenen Haltung wiedergegeben. "Nicht jeder Euphemismus wird bewusst genutzt," sagt der Sprachwissenschaftler Martin Wengeler. "Viele entstehen aus bestimmten politischen Überzeugungen, andere aus der Notwendigkeit, allzu Grausames abzuschwächen oder sie entwickeln sich aus bestimmten Argumentationsmustern heraus."(14)

Krieg und Medien

Trotzdem bleibt unbestritten, dass Sprache von Politikern und Militär gerade in Kriegszeiten bewußt eingesetzt wird, um Gefühle zu schüren, Ablehnung oder Zustimmung zu schaffen und Mehrheiten für oder gegen einen Krieg zu gewinnen. Was aber haben die Medien damit zu tun? Haben sie ein Interesse daran, das "Spiel mit den Wörtern" mitzuspielen oder sind sie selbst Opfer der subtilen Wirkung sprachlicher Wendungen? Es liegt wohl kaum in der Absicht eines einzelnen Journalisten, zu verdummen, zu täuschen oder zu verharmlosen. "Das Fatale an unserem Beruf ist, dass wir Journalisten immer in der Gefahr sind, zu solcher Propaganda beizutragen und solche Wirkungsmechanismen im Publikum zu betätigen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Vor allem, wenn wir gezwungen sind, sehr schnell zu arbeiten, können wir oft die Behauptungen, die wir dem Leser, Hörer, Zuschauer übermitteln, nicht hinreichend überdenken und überprüfen, so dass uns nicht klar wird, was wir damit anrichten können," schreibt Eckart Spoo aus eigener Erfahrung.(15) Kaum noch ein Wort, das nicht manipuliert. Dazu der immer stärkere Druck, die Nachrichten so aktuell wie möglich zu liefern, der keine Zeit zum Nachdenken lässt. Und so werden Agenturmeldungen oder offizielle Pressemitteilungen wortwörtlich übernommen, ihre Bedeutungen kaum noch hinterfragt. Wie in jedem geschlossenen Sprachsystem gewöhnen sich auch Journalisten an bestimmte Sprachregelungen. Was genehm ist und was nicht, zeigt der Redigierstift des Chefredakteurs. Fehlende Diskussionen zu aktuellen Problemen in den Redaktionen, dafür stumme und schematische Arbeit der einzelnen Autoren tragen zum unkritischen Rückgriff auf Agenturmaterial noch zusätzlich bei. Jedoch muss die Rolle der Medien differenziert betrachtet werden. So finden sich natürlich Medien, die "Kampfeinsätze" befürworten und für ihre Argumentationen bereitwillig die sprachlichen Mittel offizieller Pressemitteilungen übernehmen. Von ihnen wird Kritik kaum zu erwarten sein. Doch lassen sich spätestens seit dem Golfkrieg, der auch dem Krieg in den Medien eine neue Dimension gab(16), erste Anfänge eines sensibleren Umgangs mit der Sprache der Kriegsberichterstattung ausfindig machen. Die öffentliche Ächtung von Wörtern wie "Kollateralschaden" und "ethnische Säuberung" während des Kosovo-Krieges ist ein weiterer Schritt, sprachliche Manipulation nicht mehr ohne Weiteres hinzunehmen. Es ist an jedem Einzelnen, Texte nicht mehr unkritisch zu lesen, sondern sprachlichen Manipulationen gegenüber aufmerksamer zu werden. Dazu ist jedoch erst einmal Aufklärung über die Mechanismen sprachlicher Beeinflussung nötig. Nur wenn man in der Lage ist zu erkennen, wie Freund- und Feindbilder gezeichnet werden, wann Wörter ihren eigentlichen Bedeutungen widersprechen und etwas ganz Anderes suggerieren, wann verschleiert wird, indem auf Generalisierungen oder Metaphern zurückgegriffen wird oder wenn "Expertenlatein" so überhand nimmt, dass die dahintersteckende Information gar nicht mehr wahrgenommen wird, kann man auch versuchen, andere sprachliche Kategorien aufzustellen und nicht in allgemein gebrauchte Argumentationsmuster zu verfallen. Doch dies ist ein langer Weg, der bei jeder Zeitungslektüre erneut angetreten werden muss. Immerhin, so schätzt Gerhard Müller von der Gesellschaft für Deutsche Sprache die Lage ein, ist ein Teil der Öffentlichkeit kritischer geworden, seit Deutschland sich auch wieder an Kriegen beteiligt: "Flugblätter, Mahnwachen und Broschüren zeigen, dass man aufmerksamer geworden ist und sprachliche Waffen genauer und schärfer erkennt als früher."(17)

Anmerkungen:
(1) Kurzmeldung aus: Neues Deutschland 29./30.04.2000, S.5
(2) Merten, Klaus: Kommunikation - eine Begriffs- und Prozeßanalyse. Opladen, 1977
(3) Heise, Joachim S: Reden über den Krieg - reden im Krieg. Eine linguistische Annäherung an den Ersten Weltkrieg. In: Muttersprache 2/2000, S.101
(4) Buschmann, Matthias: Zur militärischen Onomastik und Terminologie. In: Muttersprache 3/95, S.212
(5) Heidrun Kämper im Interview mit der Autorin
(6) ZDF-Sendung vom 23.03.2000, nachzulesen im Internet unter http://w3.zdf.msnbc.de/news/51102.asp
(7) Pörksen, Uwe: Die totale Entwirklichung - Zur Sprache der Kriegsberichterstattung. In: Tacho 2/1991 Krieg, Sprache, Medien, S.28f
(8) Nato-Strategiekonzept vom April 1999, Punkt 63. In: Berliner Zeitung vom 13.07.2000, S.7
(9) Lungmus, Monika: Sprachnotstand. In: Journalist 3/1991, S.16
(10) Buschmann, a.a.O., S.216
(11) ebenda
(12) Pörksen, a.a.O., S.24
(13) Cohn, Carol: A Feminist Spy in the House of Death: Unraveling the Language of Strategic Analysis. In: Isaksson, Eva (Hrsg.): Women and the Military System, New York 1988, S.288f
(14) Martin Wengeler im Interview mit der Autorin
(15) Spoo, Eckart: Freund- und Feindbilder in der Presse. In: Psychologische Mobilmachung. Forum für Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, Tübingen, 1983, S.188f
(16) Liedke, Anja: Zur Sprache der Berichterstattung in den Kriegen am Golf und in Jugoslawien. Frankfurt am Main, 1994
(17) Gerhard Müller im Interview mit der Autorin
 

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