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Am 23. Mai 2000 legten die Wehrstrukturkommission(1) und Generalinspekteur von Kirchbach(2) ihre Vorschläge zur bevorstehenden Reform der Bundeswehr vor. Eine Woche später veröffentlichte Verteidigungsminister Scharping seine Vorstellungen darüber, wie die Bundeswehr in Zukunft aussehen wird und was sie für Aufgaben hat. Viel Zeit für eine öffentliche Diskussion bleibt nicht mehr, spätestens am 14. Juli sollen die Eckdaten der Bundeswehrreform im Kabinett verabschiedet werden.
Spätestens seitdem die Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" unter dem Vorsitz von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker ihre Empfehlungen an die Bundesregierungen veröffentlicht hat, wird über Wehrpflicht, Truppenstärken und Rüstungsausgaben gestritten. Das erste Opfer der Reform ist der Generalinspekteur selbst: Hans-Peter von Kirchbach, einst "Held des Oderhochwassers", wurde nach Abgabe seines Rapports von Verteidigungsminister Scharping gefeuert. Sein Nachfolger wird General Harald Kujat, der sich bei der Bundeswehrreform als Leiter des Planungsstabes und loyaler Souffleur seines Ministers profiliert hatte.(3) Rudolf Scharping hat bereits angekündigt, daß er den Empfehlungen seiner Kommission in zentralen Punkten nicht folgen will.(4) Statt dessen trug er am 31. Mai dem Bundeskabinett seine Vorstellungen über die Bundeswehrreform vor und wirbt an die Brief bei den Bundestagsabgeordneten für sein Reformmodell, welches die Zahl der SoldatInnen auf 277.000 festlegt, den Wehrdienst verkürzt, die Kommandostruktur strafft und auf verstärkte Kooperation mit der Wirtschaft baut, um die Bundeswehr effizienter zu gestalten.(5) Für sein Modell bekam er auch gleich grünes Licht von Bundesfinanzminister Eichel, der bescheinigte, das Konzept bewege sich im Rahmen der geltenden mittelfristigen Finanzplanung(6)
Ausgangspunkt aller Überlegungen ist der erweiterte Sicherheitsbegriff, der 1991 auf Drängen deutscher Politiker ins Strategische Konzept der NATO aufgenommen wurde.(11) Damals bangte nicht nur die Bundeswehr - in ihrem Bestand legitimiert durch die Notwendigkeit der direkten Landesverteidigung als Frontstaat im Kalten Krieg - angesichts des Wegfalles des "kommunistischen Feindes im Osten" um ihre Existenzberechtigung. Heute geht es nicht mehr um Bestandssicherung: Um den deutschen Einfluß in der NATO zu sichern und zu rechtfertigen und um auch weiterhin die "Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität/ESVI" bzw. die Gemeinsame Europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit vorantreiben zu können, folgerte die Kommission, auch Deutschland müsse wie Frankreich und Großbritannien, die beiden (Post-)Kolonialmächte, zwei ständig einsatzfähige Interventionskontingente aufbauen. So werden die Kommissionsvorschläge im Ausland als Impuls für die Europäischen Kampftruppen gewertet.(12) Mit der Aufstockung der Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr könnte Deutschland das größte nationale Kontingent des in Helsinki geplanten 60.000 Mann großen europäischen Großverbandes stellen.(13)
Das Weizsäckerpapier hält an der Wehrpflicht fest, hält allerdings eine Zahl von 30.000 obgleich sich sechs von den 20 Mitgliedern der Kommission in einem Anhang "Abweichende Voten" für deren Aussetzung aussprachen.(14) Zudem wird im Kommissionsbericht unter Option A Streitkräfte ohne Wehrpflichtige festgestellt "... Eine Freiwilligen-Armee ohne Wehrpflichtkomponente ist im vollen Umfang operativ. Sie entspricht den neuen militärischen Herausforderungen und erfüllt den Bedarf von 140.000 Einsatzkräften."(15) Der gravierendste Nachteil jener Option A wird darin gesehen, daß ohne Wehrpflicht die Gefahr bestünde, den Bedarf an Berufs- und Zeitsoldaten nicht mehr decken zu können. Die Begründung des Beibehaltens der Wehrpflicht liegt somit weder in ihrer sicherheitspolitischen noch ihrer der gesellschaftspolitischen Relevanz(16), sondern vielmehr darin, daß Wehrpflichtige ein Rekrutierungspotential für die wenig attraktive Bundeswehr darstellen. Die Wehrpflichtigen sind nach den Vorstellungen der Kommission durch ein Losverfahren zu ermitteln; eine Verfahrensweise, die unter dem Aspekt der Wehrgerechtigkeit höchst fragwürdig ist.
Bündnis 90/Die Grünen bemühen sich redlich, das Thema Bundeswehrreform nicht zu einer weiteren Zerreißfrage der Koalition werden zu lassen und haben sich auf ein weitgehendes Stillhalten eingelassen. Statt eines angekündigten Eckwertepapieres wurde von der Bundestagsfraktion bisher lediglich ein Grundlagenpapier verabschiedet, welches allgemeine Festlegungen umfaßt, die sich schon im Wahlprogramm finden, wie die Abschaffung der Wehrpflicht und die Reduzierung der Truppenstärke auf 200.000. Damit wurde offenbar auf Drängen der SPD eine Grundsatzdiskussion vermieden, welche sich kritischer mit der Ausbildung und dem Einsatz von Krisenreaktionskräften auseinander gesetzt hätte, da die Bündnisgrünen denn doch nicht geschlossen hinter den Kriseneingreifsphantasien ihrer Wehrexpertin Angelika Beer und anderen Autoren des Eckwertepapieres stehen.(17)
Ins Bild paßt hier auch der letzte Beschluß der grünen Bundestagsfraktion hinsichtlich zukünftiger Auslandeinsätze der Bundeswehr. Für solche Einsätze soll weiterhin eine einfach Mehrheit im Bundestag genügen, konträr zu den Forderungen des Länderrates der Grünen, der auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit gedrungen hatten. Als Begründung der Beibehaltung des einfachen Mehrheitsbeschlusses muß eine mögliche Blockadehaltung der CDU/CSU-Fraktion herhalten.(18) Die Grünen befürchten scheinbar, bei einer Fetschreibung einer 2/3 Mehrheit könnten rot-grüne Interventionsabsichten an christ-demokratischem Widerstand scheitern.
Scharpings Eckwerte sind öffentlichkeits- und truppenverträglicher als die Vorschläge der Kommission: die angedachte Schließung von 166 "Kleinststandorten" der Bundeswehr reicht schon aus, um sich herbe Kritik von Seiten der CSU und der FDP zuzuziehen, nicht auszudenken was die von der Wehrstrukturkommission angeregte Halbierung der Standorte von bislang 600 auf 300 mit sich brächte. Viele Standorte brauchen auch zahlreiche SoldatInnen ( oder war es umgekehrt?): Scharpings Armee soll 277.000 Soldaten und Soldatinnen, umfassen. Frauen sollen in Zukunft auch andere Laufbahnen als die der pflegenden Schwester oder in der Musikkapelle offenstehen. Im Kabinett wurde dahingehend schon eine Gesetzesnovelle verabschiedet, nach der alleine "Eignung und Bedarf" ausschlaggebend sein dürfen für die Verwendung von Frauen in der Bundeswehr. Damit stehen Frauen alle Bereiche der Bundeswehr ohne Ausnahme offen- zumindest auf dem Papier.
Auch Scharping hält an der Wehrpflicht fest: 55.000 Wehrpflichtige sollen ihren Grundwehrdienst entweder 9 Monate am Stück oder aber in 6 Monate plus 3 Monate Pflichtwehrübungen in den Folgejahren ableisten. Die Reduzierung der Zahl der Wehrpflichtigen soll durch die Einführung weiterer Ausnahmeregelungen herbeigeführt werden, so könnte ein auch Informatikstudium als Ausbildung, die "im besonderen Interesse der Bundesrepublik" liegt, ein hinreichendes Kriterium sein, der Wehrpflicht zu entgehen(22)
Fraglich ist, ob dieser Auswahl-Wehrdienst einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten wird.
Scharping will, ganz im Sinne des dritten Weges, das Unternehmen Bundeswehr effizienter gestalten, dazu gehört auch, dessen Attraktivität zu steigern. So sollen junge Menschen den Weg zum Bund finden, weil dieser ihnen gute Karriere- und Ausbildungschancen bieten kann. Dazu ist dem entsprechend der Karrierestau in der Offizierslaufbahn zu beheben. Zusätzlich lockt von nun an das Angebot, die neue Feldwebellaufbahn einzuschlagen, vergleichbar mit einem Meister im zivilen Bereich. Diese bietet "einen raschen Einstieg in einen anspruchsvollen Werdegang, der frühzeitig in Spitzenverwendung führt"(23), zugegeben ein sehr reizvolles Angebot.
Der Personenhaushalt soll künftig aus dem Verteidigungshaushalt herausgenommen werden(26), was den Verteidigungsminister in die bequeme Lage bringen würde, sich in Zukunft nicht mehr mit den Gehaltsforderungen der Bundeswehrangestellten abgeben zu müssen und ihm gleichzeitig die Finanzmittel sichert, die für Modernisierung und Neuanschaffungen von Waffen ausgegeben werden sollen, - etwas, was die NATO- und EU-Mitgliedsstaaten sicherlich honorieren werden. Auslandseinsätze sollen nun auch aus Töpfen des Bundesverteidigungsministeriums finanziert werden. Schon die Erfahrung aus der Finanzierung des Kosovokrieges hat gezeigt, daß Kriegseinsätze der Streitkräfte sich für die Bundeswehr als Institution durchaus auch finanziell lohnen: Die 2 Milliarden DM für den Kosovokriege flossen 1999 noch aus einem Haushaltstitel des Finanzministers für besondere Ausgaben (EP 60). Die Bundeswehr konnte sich also durch ihren Einsatz im Kosovokrieg und in der KFOR de facto eine Haushaltserhöhung erkämpfen.
Zusätzlich scheint sich Scharping mit Bundeskanzler Schröder und auch Finanzminister Eichel darauf geeinigt zu haben, daß er die Einsparungen, die über die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Industrie und Streitkräften erzielt werden, behalten und re-investieren darf.(27)
Monatelang hatte Scharping die öffentliche Debatte unterdrücken wollen, immer wieder wurde auf das Datum der Veröffentlichung der Berichte hingewiesen. Zwar wurde durch diese Veröffentlichung das Interesse der Öffentlichkeit geweckt und Diskussionen in Parteien und Medien entfacht. Die Diskussionen ranken sich aber zum größten Teil um die Truppenstärke und um die Abschaffung der Wehrpflicht. Darauf, was die Abschaffung der Wehrpflicht für das deutsche Sozialsystem bedeuten würde, wird nur wenig eingegangen. Genauso wenig wird der Konsens hinterfragt, nach dem Deutschland zwingend im Ausland einsetzbare Streitkräfte für die eigene Verteidigung benötigt. Eine wirkliche Diskussion über die Aufgaben der Bundeswehr findet nicht statt. Statt dessen wird es als Tatsache anerkannt, daß sich die Bedrohungssituation 10 Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes eben dahingehend gewandelt hat, daß sich künftig die "Verteidigung" Deutschlands nicht mehr auf deutschem Boden abspielen wird. Eine Diskussion darüber, ob die Bundeswehr wirklich dafür gerüstet sein muß, weltweit an Kampfeinsätzen teilnehmen zu können, wird vermutlich auch nicht geführt werden. Scharping hat es eilig, bis zum 14. sollen die Eckdaten der Bundeswehrreform im Kabinett verabschiedet werden, denn am 21. Juni wird das Kabinett den Haushalt für das Jahr 2001 beschließen. cm/sw
Anmerkungen:
(1) Kommission Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr: Bericht der Kommission an die Bundesregierung, Berlin 23.5.2000, http://www.bundeswehr.de (zit. Kommission...), siehe hierzu auch ami 8-9/99, S. 5ff., ami 4/00, und ami 5/00.
(2) BMVg, GenInspBw, Fü S VI 2- Az 09-02-04: Eckwerte für die konzeptionelle und planerische Weiterentwicklung der Streitkräfte, Bonn 23.5.2000, http://www.bundeswehr.de.
(3) Dem "Quereinsteiger" Kujat, der lange in internationalen Verwendungen diente, traut der Minister eher ein emotionsloses Durchgreifen in der Truppe zu, als dem zögerlichen Heeresgeneral von Kirchbach, dessen Reformkonzept wenig mehr ist, als eine aktualisierte Zustandsbeschreibung der Bundeswehr. Das Rüstungsfachblatt Griephan-Briefe/Wehrdienst nennt von Kirchbachs "Eckwerte" ein "Papier, ... das die Bezeichnung visionär beim besten Willen nicht verdient." Wehrdienst 19/00, 8.5.00, S. 1.
(4) Nicht anders ging 1972 der sozialdemokratische Verteidigungsminister Helmut Schmidt mit den Ergebnissen "seiner" Wehrstrukturkommision um. Siehe hierzu: Wehrstruktur-Kommission der Bundesregierung: Die Wehrstruktur in der Bundesrepublik Deutschland. Analysen und Optionen. Bericht an die Bundesregierung, Bonn 28.11.1972.
(5) "Die Bundeswehr, sicher ins 21. Jahrhundert: Eckpfeiler für eine Erneuerung von Grund auf", http://www.bundeswehr.de/images/eckpfeiler.pdf.
(6) FR vom 3.6.00.
(7) Kommission..., a.a.O., Ziffer 2.
(8) Verteidigungshaushalt (Einzelplan/EP 14) 2001: 44,8 Mrd. DM, 2002: 44,5 Mrd. DM, 2003: 43,7 Mrd. DM, plus je 2 Mrd. DM (Balkaneinsatz im EP 60), die ab 2001 in den EP 14 aufgenommen werden sollen, d.h. jährlich ca. 45 Mrd. DM zur Verfügung des Verteidigungsministers, Griephan-Briefe/Wehrdienst Nr. 20/00, Bonn 15.5.00, S. 1.
(9) Die Investivmittel dienen vorwiegend für Waffenkäufe und Rüstungsforschung (2000: 12,6 Mrd. DM, siehe ausführlich in ami 10/99, S. 23ff.). Die bislang eingegangenen Vertragsverpflichtungen und die vom BMVg gewünschten Neubeschaffungen sind mit etwa 40 Mrd. DM unterfinanziert, weshalb Investivmittel erheblich gesteigert werden sollen.
(10) Kommission..., a.a.O., Ziffer 4.
(11) Der erweiterte Sicherheitsbegriff sieht als potentielle Risiken: ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, Menschenrechtsverletzungen, Staatenzerfall, regionale Krisen und bewaffnete Konflikte, Massenmigration, Überbevölkerung, Krankheiten, Umweltzerstörung, Klimawandel, Kriminalität, Menschen-, Waffen-, Rauschgifthandel, Rohstoffsicherung, Computer-Eindringlinge, Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen; Kommission ..., a.a.O. Ziffern 19-25.
(12) "Europan Combat Forces gets a Lift"; in: International Herald Tribune vom 24.5.2000.
(13) Zu Helsinki vgl. ami 1/2000 und 3/2000.
(14) Eckhard Cordes, Helge Hansen, Hermann Lutz, Harald Müller, Waltraud Schoppe, und Peter Steinbach stimmten für die Abschaffung der Wehrpflicht, Richard v. Weizsäcker, Peter-Heinrich Carstens, Theo Sommer, Christian Bernzen, Christoph Bertram, Manfred Eisele, Helga Haftendorn, Agnes Hürland-Büning, Knut Ipsen, Walter Kromm, Arno Mahlert, Lothar de Maizière, Jürgen Schmude sowie Richard Schröder stimmten dagegen.
(15) Kommission..., a.a.O., Ziffer 88.
(16) Hierzu stellt die Kommission fest "Das Konzept der Freiwilligen-Armee kann auch in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion, die mit der Aufrechterhaltung der Wehrpflicht verbunden ist, bestehen. Die große Zahl der Kiregsdienstverweigerer belegt die schwindende Akzeptanz der Wehrpflicht bei denen, die davon unmittelbar betroffen sind." Kommission..., a.a.O, Ziffer 90.
(17) FR vom 16.5.00
(18) SZ vom 8.6.00
(19) Auch innerhalb der SPD gab es verschiedene Vorlagen, einerseits vom Verteidigungsexperten Peter Zumkley, aber auch vom SPD-Haushaltexperten Volker Kröning.
(20) Scharpings ursprüngliche Vorstellungen einer Bundeswehrreform mögen relativ nahe an den von Kirchbach zu Papier gebrachten Ideen über eine nur wenig modifizierte Bundeswehr gelegen haben. Als sich jedoch abzeichnete, daß die Weizsäckerkommssion die Prämisse "keine Denkverbote" ernster nahm als vorgesehen und damit die öffentliche Debatte nicht unwesentlich prägte, machte sich Scharping noch während der Debatte Vorschläge der Kommission zu eigen und das Kirchbachpapier wurde Makulatur.
(21) "Die Bundeswehr, sicher ins 21. Jahrhundert: Eckpfeiler für eine Erneuerung von Grund auf", a.a.O., Ziffer 19.
(22) Scharping in einem Interview mit Focus, http://www.bundeswehr.de/news/presse/focus.html.
(23) Eckpfeiler, a.a.O., Ziffer 41.
(24) FR vom 3.6.00
(25) SZ vom 8.6.00
(26) "Die Bundeswehr, sicher ins 21. Jahrhundert: Eckpfeiler für eine Erneuerung von Grund auf", a.a.O., Ziffer 81.
(27) SZ vom 5.5.00