Vom 18. bis 20. Februar 2000 fand in
der evangelischen Akademie Iserlohn die Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft
für Friedens- und Konfliktforschung/AFK statt. Vordergründig
lautete das Thema des Symposions "Völkermord - friedenswissenschaftliche
Annäherung an Unbegreifliches" - eine salomonische Kritik von Legitimationsversuchen
des Kosovokrieges und des aktuellen Tschetschenienkrieges. Tatsächlich
ging es bei dem turnusgemäßen Familientreffen des Dachverbandes
deutscher FriedenswissenschaftlerInnen um die eigene Sinnkrise, um Geld
und Einfluß.
Stefan Gose
AFK-Jahrestagung 2000:
Geld am Ende des Tunnels?
Der schnöden
Realpolitik entrückt
Seit dem letzten Treffen der friedenspolitischen
Zunft(1) hatte ein Krieg
mit deutscher Beteiligung stattgefunden. Doch weder eine Bilanz noch der
Versuch einer gemeinsamen Positionierung standen bei der AFK auf der Tagesordnung.
Zwar durchzog das Thema Kosovo alle Referate und Arbeitsgruppen. Doch mit
pointierten Antworten gegenüber ihrem ureigensten Gegenstand zeigten
sich die etwa 100 KonfliktexpertInnen auch nach neun Monaten noch sparsam.
Die nachträgliche Zurkenntnisnahme mancher Medien- und Berichterstattungsmanipulationen
und damit die Fragwürdigkeit der auf den "völkermörderischen
Fakten" beruhenden "humanitären" Begründung der NATO-Bombardements
greift mehr und mehr um sich und befördert die friedenswissenschaftliche
Erkenntnis - dieser Krieg war nicht in Ordnung. Aus welchen Gründen,
mit welchen Konsequenzen für die künftige deutsche Außen-
und Militärpolitik - oder gar Friedenspolitik - ist in der forschenden
Zunft jedoch noch nicht einmal strittig, denn würde ja klare Positionen
voraussetzen. Da keine Standortbestimmung der Friedensforschung gesucht
wurde, standen folgerichtig auch weder der Tschetschenienkrieg noch die
bevorstehende Bundeswehrreform, die aktuelle Militarisierung der EU oder
gar der zu erwartende Waffenexportboom im Zentrum der akademischen Agenda.
Ende eines Kalten
Krieges?
Es ging um Wichtigeres. Schließlich
hatte der AFK-Vorstand gleich zwei VIPs eingeladen: Dieter Lutz, Direktor
des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der
Uni Hamburg/IFSH, gab sich erstmals seit vielen Jahren wieder bei seinen
AFK-KollegInnen die Ehre. Damit wurden langjährig kultivierte Ressentiments
zwischen Herrn Doktor Lutz und seinen ex-KollegInnen bei der AFK vordergründig
zurückgestellt. Tatsächlich nahm Herr Doktor Lutz seinen respektablen
Einführungsvortrag zur Legitimationsproblematik des Kosovokrieges
als Ticket dafür, der AFK bei jedweder Gelegenheit begrenztes friedenswissenschaftliches
Gewicht in der Scientific Comunity und politische Machtlosigkeit zu attestieren.
Das es auch anders gehe, zeige die Leistungsbilanz seines IFSH. Hintergrund
sind uralte unverdaute Konflikte innerhalb der kleinen akademischen Zunft
von KonfliktexpertInnen, weshalb die Kommunikation zwischen Hamburg (IFSH,
AKUF), Kiel (SCHIFF), Frankfurt (HSFK) und Berlin (FU, BSK) seit vielen
Jahren gestört ist. Einen konstruktiven Versuch zur Überwindung
dieser Differenzen unternahm Peter Schlotter (HSFK) mit seiner erfolgreichen
Kandidatur in den AFK-Vorstand. Er wolle in diese Funktion nutzen, das
Klima zwischen AFK-Verband und seinem Institut zu verbessern, nachdem ein
Frankfurter Kollege auch nach Jahresfrist noch nicht den angekündigten
Verhaltenscodex für den Umgang mit sensiblen KonfliktforscherInnen
vorgelegt hatte.(2)
Stiftung Friedensforschung
- oder: was kostet die Zunft?
Ein wichtiges Ereignis beim AFK-Symposion
war die Diskussion mit von Wolf-Michael Catenhusen, Staatssekretär
im Bundesbildungsministerium/BMBF. Es ging um die im Aufbau befindliche
Stiftung Friedensforschung. Nach einem Jahr ministerieller Intransparenz
sollte nun erstmals eine öffentliche Debatte mit jener Friedensforschung
geführt werden,(3)
die zu fördern sich SPD und Grüne in ihren Koalitionsvertrag
geschrieben hatten. Erhebliche Steuermittel wurden bereits jenseits von
wissenschaftlicher Beurteilung durch das BMBF verausgabt, noch bevor die
"Stiftung Friedensforschung" das Licht der Welt erblickten soll. Wichtiger
als die bisherigen Kungeleien erschien dem AFK-Plenum die zukunftsweisende
Frage, wer künftig im bewilligungsmächtigen Kuratorium der Friedensstiftung
sitzen würde, genauer, ob nicht die AFK als quasi "Berufsverband"
ein Vorschlagsrecht für zumindest die Hälfte der EntscheidungsträgerInnen
haben sollte. Staatssekretär Catenhusen wiederholte lediglich den
bereits bekannten Proporz dieses 15-köpfigen Stiftungskuratoriums.
Vorgesehen ist, daß sogar ein Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums
über die Friedensforschung wachen soll, was nach Catenhusen aber selbstverständlich
keine inhaltliche Einflußnahme bedeuten soll.(4)
Die bisherige "ad-hoc"-Friedensforschungsförderung, die in den letzten
Monaten soviel Ärger hervorgerufen hatte, begründete er mit Strukturveränderungen
und Zeitdruck im Bundesfinanzministerium (Ersatz von Oskar Lafontaine durch
Hans Eichel). Er betonte, für das künftige Stiftungsdesign behalte
sich die Bundesbildungsministerin alle Entscheidungen persönlich vor.
Nicht einmal die mittlerweile durchgesickerte langweilige Stiftungssatzung
brachte Catenhusen mit nach Iserlohn. Wie bisher das BMBF wird künftig
die Stiftung Friedensforschung ihre Steuermittel nach Gutsherrenart verwalten,
pluralistische Anregungen sind erwünscht, Beachtung wird nicht garantiert.
Die Kapitalausstattung der Stiftung Friedensforschung soll 50 Mio. DM betragen,
davon sollen jährlich 3-4 Mio DM ausgeschüttet werden. Das entspräche
einem Zehntausendstel des offiziellen Verteidigungshaushaltes EP 14 - ein
ärmlich-undemokratisches Feigenblatt rot-grüner Militärpolitik.
Außerdem hegen einige Friedensforscher den Verdacht, am Ende könnten
von dem sozialdemokratischen Geldsegen durch die Stiftung Friedensforschung
genau die profitieren, die es bisher immer abgelehnt hatten, sich als bloße
"Friedensforscher" zu bezeichnen - also alle "Sicherheitsexperten", "Militärwissenschaftler"
und sonstigen Genies.
Im Zerrspiegel zwischen
Anspruch und Wirklichkeit
Ansonsten standen in den Diskussionen auf
der AFK-Tagung zwei Probleme im Mittelpunkt: die Nachwuchsförderung
und die Publikationstätigkeit der AFK. Beide Punkte sind nicht neu,
beide Punkte wurden erneut bedauert, beide Punkten wurden nicht verändert.
Der Diskurs zur Probematik des akademischen Nachwuchses ist naturgemäß
diffizil, da erst definiert werden muß, ob damit eine altersabhängige
oder eine qualifikatorische Begriffsbestimmung von "Nachwuchs" gemeint
ist, oder ob es einfach um Planstellenförderung geht. Im Konsens konnte
festgestellt werden, der beste Ort zur friedenswissenschaftlichen Nachwuchsförderung
ist die deutsche Universität, so lautet der unverbindlich vertraute
Nenner,. Dort allerdings sind die wenigen LehrstuhlinhaberInnen der Meinung,
bereits das ihnen Mögliche für den Nachwuchs zu tun. Daß
in Folge des gegenwärtigen Generationswechsels die wenigen professoralen
C-Stellen künftig nicht neu besetzt werden, sondern der Friedensforschung
gestrichen werden, wurde so wenig problematisiert wie die Frage des akademischen
Mittelbaus, für dessen Qualifikationen unverändert weit mehr
Bedarf als Finanzmittel zur Verfügung stehen. Daß es jenseits
der traditionellen Universitätsstrukturen (in denen sich die Friedensforschung
in den vergangenen 30 Jahren nicht ernsthaft etablieren konnte) andere
Formen bezahlten friedenswissenschaftlichen Engagements geben könnte,
wurde von den Wissenschaftler zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen.
Erhebliche Widerstände gegenüber dem nicht mehr ganz neuen Medium
Internet offenbarten allerdings exemplarisch, worin die Altvorderen der
Zunft unbeirrbar deren Kern sehen: in Lehrstuhl und Buch. Eines bleibt
in diesem Zusammenhang nachzutragen: den diesjährigen Christiane-Rajewsky-Nachwuchspreis
der AFK erhielten Ulf Terlinden und Ekkehard Forberg (Berlin) für
ihre Arbeit über Kleinwaffen in Somaliland.(5)
Daß die AFK mittlerweile nur noch die jährlich defizitären
AFK-Tagungsbände mit einer zeitlichen Verzögerung herausgibt,
nach der sie kaum noch jemand lesen möchte, wurde erneut beklagt.
Medienvorstand Hummel präsentierte deshalb ein Kurzkonzept für
"Neue Friedensanalysen", nicht nur um "reputationsträchtige Publikationsmöglichkeiten
für NachwuchswissenschaftlerInnen" zu eröffnen. Der Gedanke wurde
abgelehnt, stattdessen erscheint demnächst der Band mit den Vorträgen
der AFK-Tagung vom Frühjahr 1998. Das Problem der AFK-Publikationen
ist weniger ihre Zahl, als ihre Substanz. Mit "Wissenschaft und Frieden"
existiert bereits eine aufwendige Publikation, die von vielen friedenswissenschaftlichen
Organisationen und Personen, nicht zuletzt von der AFK unterstützt
wird. Daß diese Quartalszeitschrift nicht als disziplinäres
Diskussionsforum verstanden und genutzt wird mag daran liegen,(6)
daß viele zwar mangelnde Resonanz beklagen, aber selbst kaum wahrzunehmen
bereit sind, was die KollegInnen tun. Stattdessen druckt jedes Institut
seine eigenen grauen Forschungsbände. Die Animositäten untereinander
tun ein Übriges, um die kleine Zunft weiter zu marginalisieren und
konzertierte Nachwuchsförderung zu verhindern. Statt des nüchternen
Befundes, nach 30 Jahren Friedensforschung vor einem Scherbenhaufen zu
stehen, werden Eitelkeiten, Steckenpferde und das letzte Fünkchen
Hoffnung auf Forschungsgelder gehegt. Die einst kritische Friedensforschung
hat ihren normativen Anspruch weitgehend durch modifizierbare Gewohnheiten
ersetzt. Wenn die Disziplin nochmal politische Relevanz erlangen möchte,
müßte sie sich zunächst erneut über ihre Prämissen
verständigen. Gelänge eine solche lebendige Streitkultur, bräuchte
sich niemand Sorgen um die resultierende Reputation bzw. den wissenschaftlich
begründeten Sprung in die Versenkung zu machen.
Anmerkungen:
(1) ami 4/99,
S. 39ff.
(2) zu einem der nämlichen Ärgernisse
siehe z.B. 1/92, S. 30
(3) ami 1/00, S.
33ff. Beachte auch die ami-Materialsammlung
zum Thema Friedensstiftung.
(4) je ein Abgeordneter von SPD, Grünen
und CDU, je ein Vertreter von BMZ, AA, BMBF und BMVg, 8 ForscherInnen,
davon einer von der Deutsche Forschungs Gemeinschaft (DFG).
(5) gekürzte Fassung in ami
6/99, S. 22ff., ungekürzt als BITS-Arbeitspapier erhältlich
unter: Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit,
Rykestr. 13, 10405 Berlin, 030/4426042, bits@bits.de
(6) W+F druckt - wie auch das IFSH-Blatt
Sicherheit + Frieden/S+F - noch nicht einmal LeserInnenbriefe