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Ausgabe 2/00   Seite 5ff

Das europäische Komitee gegen Folter und unmenschliche Behandlung (CPT) veröffentliche am 13. Januar in Straßburg den Bericht über seinen Besuch vom 8. bis zum 17. September 1997 im Vereinten Königreich.(1) Allerdings mit Einschränkungen, denn Großbritannien hatte mit dem Verweis auf das Berufsgeheimnis(2) für die Zensur einiger Passagen gesorgt. Der Bericht war während der letzten zwei Jahre Gegenstand eines langwierigen Genehmigungsverfahrens der britischen Regierung und konnte deshalb erst jetzt veröffentlicht werden. In der Geschichte des 1987 gegründeten Anti-Folter-Komitees des Europarates ist eine derartige Abänderung eines Berichtes einmalig.(3)

Weiße Flecken im Gewissen der Insel

Der Bericht des europäischen Anti-Folter-Komitees über Großbritannien

Das CPT entspringt der Anti-Folter-Konvention(4), die seit 1987 alle Mitgliedsländer des Europarates außer Georgien unterzeichnet haben. Das unabhängige Gremium besteht aus Experten mit juristischem, medizinischem oder politischem Hintergrund. Es hat die Aufgabe, durch Besuche in den Mitgliedstaaten die Einhaltung der Konvention zu kontrollieren. Dabei verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, den CPT-Delegationen Zugang zu allen Orten zu gewähren, die für die Untersuchungen relevant sein könnten (Artikel 8). Allerdings hat das CPT keinerlei juristische Befugnisse. Nach dem Prinzip der Kooperation werden die Ergebnisse eines Besuches zunächst vertraulich behandelt. Im Rahmen des Abschlußberichtes können zwar Empfehlungen ausgesprochen werden. Diese sind für die betreffende Regierung aber nicht bindend. Sollten sich die angesprochenen Akteure jedoch als nicht kooperativ erweisen, so behält sich das CPT öffentlichkeitswirksame Maßnahmen vor. Nach Artikel 11 erfolgt nach der Rücksprache schließlich die Veröffentlichung des Berichts. Hierbei ist eine Kommentierung durch das betreffende Land zulässig. Die Streichung von vier Textpassagen als Kommentar auszulegen ist jedoch eine sehr weite Interpretation des Artikels 11. Besuche des CPT erfolgen entweder im regelmäßigen Turnus oder ad hoc aufgrund spezieller Vorfälle. Was Großbritannien betrifft wurde das CPT bereits während eines Besuches von 1994 auf einige Fälle polizeilicher Gewalt bei Verhaftungen oder Verhören aufmerksam - besonders weil meist eine adäquate rechtliche Verfolgung ausblieb. Zudem mehrten sich die Bedenken britischer Nicht-Regierungs Organisationen (NRO), daß aus mangelndem Vertrauen der Öffentlichkeit in die Unabhängigkeit und Effizienz der polizeilichen Fahndungsmethoden zunehmend zivilrechtliche Schritte dem eigentlichen polizeilichen Beschwerdemechanismen vorgezogen würden. Daraufhin setzte der CPT einen neuen Besuch auf der Insel an.(5)

Kein Vertrauen ins System

Im Mittelpunkt der Untersuchung stand die Überprüfung polizeiinterner Abläufe und rechtlicher Mechanismen im Umgang mit eingehenden Beschwerden gegen gewalttätige Bobbies. Da die meisten Fälle im Londoner Raum bekannt geworden waren, konzentrierte das Komitee seine Arbeit auf die Metropolitan Police. In den 10 Tagen ihres Besuches inspizierte die sechsköpfige internationale Delegation(6) vier Polizeistationen, interviewte diverse Polizeibeamte und Inhaftierte, sprach mit drei Mitgliedern des Unterhauses sowie dem Direktor des Crown Prosecution Service (CPS)(7) und holte Rat und Expertise bei unabhängigen Stellen wie Anwälten, Richtern und NROs ein. Außerdem sah die Delegation eine Reihe von Polizeiakten und Dokumenten ein - ein Privileg, das ihr gemäß der Anti-Folter-Konvention von den jeweiligen Behörden nicht verweigert werden darf.(8) Die aus dem Bericht gestrichenen Stellen sind in der veröffentlichten Version als weiße Kästen markiert. Es handelt es sich um Teile von Fallstudien, die das CPT heranzog, um konkret die Unzulänglichkeiten der Fahndung von Übergriffen britischer Polizeibeamter während oder nach der Verhaftung von Verdächtigen zu belegen. Das Anti-Folter-Komitee kam zu folgendem Ergebnis: 1996/97 wurden in England und Wales 36.731 Beschwerden über Gewaltanwendung von Bobbies registriert. Davon wurden 4.043 (11%) zurückgezogen. Von den verbleibenden 32.688 Fällen wurden 22.445 von vornherein ad acta gelegt und von den 10.243 überhaupt weiter verfolgten weitere 5.236 als nicht glaubwürdig oder irrelevant zurückgewiesen.(9) In 834 (2,2% der Gesamtbeschwerden, 8% der weiter verfolgten) wurden bei näheren Untersuchungen tatsächlich Straftaten festgestellt. In 141 (0,4% gesamt, 1,3% der weiter verfolgten) Fällen wurden angeschuldigte Polizisten schließlich rechtlich belangt. 121 davon mußten sich allein in London einer Anhörung im Rahmen eines Disziplinarverfahrens stellen, wonach 47 ihren Dienst quittierten oder in Rente gingen.(10) Ein einziger Bobby der Metropolitan Police wurde strafrechtlich verurteilt.(11) In dem Bericht des CPT tauchen dabei keinerlei Angaben zu der Art von Gewalt auf, gegen die Beschwerden eingereicht wurden. Selbst aus den Fallbeispielen ist nicht ersichtlich, ob etwa rassistische oder sexistische Motive eine Rolle gespielt haben. Allgemein ist bei dieser Statistik nachvollziehbar, weshalb viele Betroffene das langwierige Prozedere polizeiinterner Aufarbeitung scheuen und lieber vor zivilrechtlichen Instanzen Gerechtigkeit suchen. Für den Zeitraum 1996/97 wurden auf diese Weise 1.178 Anklagen gegen Polizisten der Metropolitan Police erhoben und in 305 Fällen Schadensersatzansprüchen stattgegeben.(12) Aus dem Bericht geht nicht hervor, ob es sich dabei um Fälle handelt, die zuvor von der Polizei abgewiesen worden waren, oder ob die Betroffenen direkt den zivilen Weg gewählt hatten. Das CPT gibt zu bedenken, daß durch die angewendete Verfahrensweise Zwischenfälle, die in der britischen Rechtsordnung eigentlich vor das Straf- oder Disziplinargericht gehören, nicht angemessen belangt werden. Als Beispiele werden im Bericht unter anderem die Fälle von Mr Gerald und Mr Nightingale genannt.(13) Mr Gerald war nach seiner Verhaftung 1990 in einem Polizeiwagen festgehalten und zusammengeschlagen worden. Dabei erlitt er schwere Prellungen und die Fraktur seines rechten Fußes. Auf Mr Nightingale wurde 1994 ohne Vorwarnung ein Polizeihund gehetzt, der sich in seinem linken Bein festbiß und erst nach ca. zwei Minuten von dem verantwortlichen Polizisten zurückgerufen wurde. Dabei wurde die Beinmuskulatur und das Fußgelenk derartig verletzt, daß Mr Nightingale dauerhaft gehbehindert ist. In beiden Fällen wurde den Betroffenen durch ein Zivilgericht Schadensersatz zugesprochen, jedoch keinerlei strafrechtliche Untersuchung eingeleitet.(14)
 

Die Polizei prüft sich selbst

Als Gründe für die mangelhafte Verfolgung polizeilicher Straftaten nennt das CPT eine Reihe von zweifelhaften Mechanismen im Verlauf der Untersuchungen zu polizeilicher Gewalt. Rechtlich sind die Vorgehensweisen im Police and Criminal Evidence Act (PACE) von 1984 festgelegt. Dabei gibt es eine Reihe von Instanzen, die auf einen Fall Einfluß nehmen können. Von besonderer Bedeutung sind der Chief Officer (CO), der Investigation Officer (IO), die Police Complaints Authority (PCA) und der Director of Public Prosecution. Der CO einer Polizeistation bei der eine Beschwerde eingegangen ist entscheidet zunächst selbst, ob diese überhaupt registriert wird. Ist dies geschehen und keine informelle Lösung erzielt worden, ernennt er einen IO, der mit der weiteren Untersuchung des Falles beauftragt wird. Dieser stammt in der Regel aus derselben Abteilung wie der Polizist, gegen den die Beschwerde eingereicht wurde. In den meisten Fällen legt der zuständige IO den erstellten Bericht dann wiederum dem CO vor, der schließlich darüber entscheidet, ob rechtliche Maßnahmen in Betracht kommen. Handelt es sich um schwere Körperverletzung oder Todesfälle wird die PCA zur Überwachung hinzugezogen. Die PCA bildet die einzige unabhängige Instanz im Verlauf der Untersuchungen(15), hat jedoch nur kontrollierenden Charakter und in keinster Weise Einfluß auf den Bericht. Zwar kann sie dem CO Vorschläge zur weiteren Verfahrensweise unterbreiten, in der Praxis, so das CPT, werden diese aber häufig übergangen. Hält der CO den entsprechenden Fall aufgrund des Berichtes für weiter untersuchungswürdig, so wird der Director of Public Prosecution eingeschaltet. Dieser wägt in zwei Stufen(16) mit Hilfe von Anwälten des CPS ab, ob aufgrund der Beweislage "eine realistische Aussicht auf Verurteilung" besteht. Da es selbst in den Fällen, die vor Gericht behandelt werden, selten zu einer Verurteilung kommt, wachsen die Ansprüche an die Beweislage. Das CPT spricht in diesem Zusammenhang von einem Teufelskreis, da es immer seltener zu einer Weiterleitung der Fälle kommt und immer weniger Täter tatsächlich rechtlich belangt werden. Dabei ist bereits die Abwägung der Fälle eine höchst juristische Aufgabe und sollte in den Händen eines unabhängigen Gerichtes liegen.(17) Außerdem ist fraglich, wie aussagekräftig ein Bericht sein kann, der von einem Polizisten über einen Arbeitskollegen erstellt und von dessen Chef vorsortiert wurde. Auch die möglichen disziplinarischen Konsequenzen hält das CPT für bedenklich. Hier sieht PACE vor, daß eine Anhörung zwischen dem beschuldigten Polizisten und dem CO seiner Einheit durchgeführt wird. Dies geschieht privat und ohne Beisein eines Zeugen. Da der Polizist sich zudem auf sein Schweigerecht berufen kann, hat eine derartige Anhörung selten direkte Folgen für den Angeklagten.

Reform im Schneckentempo

Die Forderung nach einer Reform des Polizeisystems kommt auch zunehmend aus polizeiinternen Kreisen, ist aber keinesfalls eine neue Debatte im Vereinigten Königreich. Bereits 1994 erarbeitete ein Unterhausausschuß den Police and Magistrates´ Courts Act und 1996 den neue Police Act. Unter anderem werden darin die Befugnisse des Chief Officers eingeschränkt, das Schweigerecht in Disziplinarverfahren gestrichen und der PCA mehr Handlungsspielraum verliehen.(18) Tatsächlich mußte die PCA in ihrem Jahrbuch 1996/97 aber bekannt geben, daß sie aufgrund von massiver Finanzkürzungen nicht in der Lage sei, weiterhin die statistische Auswertung der Fälle zu gewährleisten.(19) Die Gesetzesvorlagen sind im Unterhaus gescheitert. Die Empfehlungen des CPT stimmen großenteils mit den Reformvorschlägen des Unterhausausschusses überein. Zusätzlich fordert es aber, daß in Zukunft die Untersuchung nicht durch die betroffene Policestation geleitet wird. Außerdem rät es, die Einrichtung einer unabhängigen Instanz mit eindeutigem Einfluß auf den Verlauf der Ermittlungen und die Strafverfolgung der Beschuldigten.(20) Die Reaktionen auf der Insel sind bisher sehr zurückhaltend. Auf der CPT-Hompage wird aber die baldige Veröffentlichung einer Stellungnahme der britischen Regierung angekündigt. Durch die Zensur des Berichtes ist ja bereits klar, wie es um ihren guten Willen zu mehr Transparenz durch Reformen steht. Bleibt zu hoffen, daß durch den öffentlichen Druck die blockierten Gesetzesentwürfe weiterkommen. Die Möglichkeiten des Komitees sind jedenfalls erschöpft. Das CPT schickt übrigens 2000 auch eine Delegation nach Deutschland. Mal sehen, was sie da finden werden... con

Anmerkungen:
(1) Der Titel des Berichtes lautet: Report to the United Kingdom Government on the visit to the United Kingdom and the Isle of Man carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 8 to 17 September 1997. Erhältlich auf der Homepage des CPT unter: http://www.cpt.coe.int
(2) Im Original heißt es "for reasons of legal professional privilege", CPT Report UK 1997, S.1
(3) FR 14. Januar 2000
(4) European Convention for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, Staßburg 26. November 1987, erhältlich unter http://www.cpt.coe.int
(5) CPT Report UK 1997, S. 6
(6) Namentlich handelt es sich um: Claude Nicolay (Luxemburg), Nadia Gevers Leuven-Lachinsky (Holland), Demetrios Stylianides (Zypern), sowie ein medizinischer Experte und zwei Mitglieder des Sekretariats des CPT. 
(7) Der Crown Prosecution Service ist das britische Äquvivalent zur Staatsanwaltschaft.
(8) Es sei denn die jeweilige Regierung sieht durch die Untersuchung die Bereiche nationaler oder öffentlicher Sicherheit berührt. Vgl.: Anti-Folter-Konvention des Europarates 1987, Artikel 9
(9) Als nicht relevant gelten Beschwerden, die anonym eingegangen sind, die über 12 Monate zurück liegen, schikanös oder bedrohlich wirken oder falls einfach keine sinnvolle Untersuchung möglich scheint. CPT Report UK 1997, S. 9
(10) CPT Report UK 1997, S.12
(11) Dabei belaufen sich allein in London die Anzahl der Beschwerden auf 5000 bis 6000 pro Jahr. CPT Report UK 1997, S.10
(12) CPT Report UK 1997, S.13
(13) Die Vornamen werden aus Gründen des Datenschutzes im Bericht nicht genannt.
(14) CPT Report UK 1997, S.13-15
(15) Dem PCA dürfen keine aktiven oder ehemaligen Polizeiangehörige angehören.
(16) Die zwei Stufen sind zum einen der "evidential test" (liegen genügend stichhaltige Beweise vor?) und zum anderen der "public interest test" (könnte eine Verurteilung gegen das öffentliche Interesse sein?).
(17) CPT Report UK 1997, S.10
(18) CPT Report UK 1997, S.17f
(19) CPT Report UK 1997, Fußnote 18
(20) CPT Report UK 1997, S.45f
 

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