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Ausgabe 11/00   Seite 5ff

Die Bundeswehr veranstaltete am 9. Oktober 2000 unter dem Motto "Bundeswehr - 10 Jahre Armee der Einheit" bei Anwesenheit des gesamtem Bundeskabinetts einen Großen Zapfenstreich im Park Sanssouci in Potsdam. Der Semesteranfang an der Universität Potsdam zum Wintersemester 2000/01 fand aus diesem Grunde unter höchst unangenehmen, zum Teil sehr erschreckenden Bedingungen statt.

Zapfenstreich in Potsdam: Zehn Jahre Armee der Einheit

Studieren und Paradieren im Schloßpark

Der Park Sanssouci, in dem ein Teil des Gesamt-Campus der Universität Potsdam liegt, war am Montag, dem 9. Oktober, dem ersten Semestertag in Brandenburg, hermetisch abgeriegelt. Der Weg zum Campus war von morgens an erschwert, da es viele Polizeikontrollen ohne ersichtlichen Grund gab. Ab ca. 16 Uhr war der Zugang zum Campus völlig unmöglich. Busse änderten ohne jegliche Hinweise ihre Linienführung. Vor allem ausländische Studierende zeigten sich entsetzt über das Polizei- und Militäraufgebot. Im Vorfeld gab es über diese Repressalien keinerlei Information, weder von staatlicher noch von universitärer Seite.

Militärischer Sicherheitsbereich vs. Freizügigkeit der Studierenden

Der Aufbau für eine Semesteranfangsfeier durfte nur unter der Aufsicht von Feldjägern stattfinden; nur 3 von 10 zugesagten Personen gelangten überhaupt zu den Aufbauarbeiten. Auf die Frage des AStA-Kulturreferenten, der für die Technik zuständig war, warum dies so geschehe, antwortete Oberstleutnant Wendorff, daß die Veranstaltung der Bundeswehr ohne Störungen ablaufen müsse. Er berief sich hierbei auf das Hausrecht, welches die Bundeswehr an diesem Tag übernommen habe und drohte schließlich mit einem "entweder - oder".

Tatsächlich ist es bei Veranstaltungen der Bundeswehr im öffentlichen Raum üblich, daß sie eine Sondernutzungsgenehmigung bei der zuständigen zivilen Verwaltung beantragt und mit der Erlaubnis erteilt bekommt, einen militärischen Sicherheitsbereich einzurichten. Diesen dürfen dann Militärangehörige "unter Anwendung unmittelbaren Zwanges"(1) schützen. Die Bundeswehr muß also zur Darstellung ihrer Anliegen nicht wie jede andere Institution oder Initiative nach dem Versammlungsrecht demonstrieren und sich nach den Auflagen von Polizei und Verwaltung richten. Sie bemächtigt sich vielmehr des öffentlichen Raums für ihre Zwecke und kann auf der formal korrekten rechtlichen Grundlage eines einfachen Gesetzes nicht nur die Grundrechte anderer Bürger (hier unbeteiligte StudentInnen, DemonstrantInnen) einschränken, da diesen in der Regel alle Möglichkeiten (und auch überhaupt das Wissen) zur Wahrnehmung ihres Grundrechtsschutzes fehlen. Darüber hinaus übt sie auch die hoheitlichen Rechte innerhalb und an den Grenzen des militärischen Sicherheitsbereiches aus und kann dort sogar mit Gewalt ihre eigenen Interessen bzw. die ihrer Veranstaltung "schützen".

"Daß die Studierenden am Semesteranfang kontrolliert werden, ihre Feier von Soldaten bewacht wird, der Zugang zur Uni ab 16 Uhr gar nicht mehr möglich ist, zeugt von staatlicher Willkür. Die Feierlichkeiten einer Bildungseinrichtung werden denen des Militärs ohne ersichtlichen Grund untergeordnet. Anstatt Mittel für das studentische Kulturzentrum bereitgestellt werden, wird im Gegenteil Geld für militaristische Großveranstaltungen wie den Zapfenstreich verschleudert", so der AStA der Uni Potsdam.

Feierlichkeiten und Eigenwerbeinteressen

Der Große Zapfenstreich geht auf einen Brauch aus der Zeit der Landsknechtheere zurück und wurde in den Heeren der absolutistischen Fürsten zu einem formalen militärischen Ritual aufgebläht. "Durch die Verbindung von feierlichen Gepränge mit einem Choral und vaterländischen Musikstücken wurde der Große Zapfenstreich in den zwanziger und dreißiger Jahren... [des zwanzigsten] Jahrhunderts zum feierlichen Höhepunkt vieler Großkundgebungen."(2)

Die Bundeswehr versucht, durch öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen wie Gelöbnisse und Zapfenstreich die Normalität ihrer Existenz zu unterstreichen. Gleichzeitig wird der eigentliche Zweck des Militärs - die Gewaltanwendung - im feierlichen Charakter dieser Veranstaltungen versucht zu verschleiern. Daß die Bundeswehr beim Zapfenstreich aus dem gleichen Symbolfundus schöpft und sich der gleichen Funktionen bedient wie die Reichswehr des militaristischen Kaiserreichs und die Nazi-Wehrmacht, scheint in einer ahistorischen Medienkultur, die solche Verbindungen nicht mehr herstellen kann oder will, nicht zu stören. Vielmehr belegt es die strukturelle Kontinuität der Rolle der Militärs in Deutschland durch die verschiedensten Staatsformen hindurch.

Mit dem Motto der Veranstaltung "10 Jahre Armee der Einheit" beabsichtigt sich die Bundeswehr absurderweise mit einem Ereignis zu schmücken, das wie kein anderes der letzten Jahre die Überholtheit militärischer Praktiken und Denkweisen unterstreicht. Die Logik hinter der symbolischen Inbesitznahme der Einheit durch die Bundeswehr funktioniert auf folgende Weise: Zuerst hat die Bundeswehr die Nationale Volksarmee abgewickelt. Gegen die Behauptung der erfolgreichen Vereinigung sprechen die baren Fakten: Fast das gesamte technische Gerät wurde ins Ausland verkauft oder verschenkt, wo es teilweise direkt in laufenden Kriegen eingesetzt wurde (Türkei, Indonesien); von über 100 000 DDR-Soldaten sind nur 15 000 übernommen worden; heute sind lediglich 6 000 noch bei der Bundeswehr beschäftigt.(3) Bis auf den heutigen Tag gelten für die Bundeswehrsoldaten in Ost und West unterschiedliche Besoldungstarife. Die "Armee der Einheit" erweist sich so bei näherem Hinsehen als die ideologische Verbrämung der Kolonisation der DDR im militärischen Bereich. Dann wurde und wird die Bundeswehr entgegen den Erfahrungen der friedlichen Bürgererhebung in den letzten Tagen der DDR seit 89/90 kontinuierlich zu einem Instrument deutscher Außenpolitik umgebaut. Der Kosovokrieg, bei dem sich die Bundeswehr zum ersten Mal in ihrer Geschichte an einem Angriffskrieg beteiligte, wird entgegen aller Beteuerungen keine Ausnahme, sondern ein Präzedenzfall gewesen sein. Darauf weisen alle konzeptuellen, strategischen und militärpraktischen Entwicklungen hin. Die eigene Bevölkerung auf einen zustimmenden oder wenigstens gleichgültigen Standpunkt gegenüber der Bundeswehr und ihren neuen Aufgaben einzustimmen - das ist eine der Aufgaben feierlicher Militärzeremonien - ein behinderter Semesteranfang dagegen nur "Kollateralschaden". eus

Anmerkungen:  
(1) So schon der Name des hier ermächtigenden Gesetzes: Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen (UZwGBw) vom 12. August 1965 (BGBl I S. 796), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. September 1998 (BGBl. II S. 2405);
http://www.militaerrituale.de/home/quellen/gesetze/uzwgbw.htm  
(2) Stein, H.-P.: Symbole und Zeremoniell in deutschen Streitkräften vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Herford 21986, 270
 
(3) junge welt, 11.10.00
 

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