Während die Bundeswehr bei öffentlichen
Gelöbnissen nicht nur in der Hauptstadt mit Protesten und Kritik zu
rechnen hat, verschafft sie sich durch "Hilfsdienste" auf zivilen Veranstaltung
jenseits des breiten Interesses der Massenmedien (und antimilitaristischer
Aktionen) Akzeptanz, ohne auf gesellschaftlichen Widerstand zu stoßen
- so kürzlich mit Feldjägern im Einsatz bei der 1. Spandauer
Blade Night. Oftmals kann sie sich auf die ausdrücklichen "Sparwünsche"
ziviler Veranstalter berufen. Die Rechtmäßigkeit solcher Einsätze
ist fragwürdig: Öffentlichkeitsarbeit mit der Gulaschkanone ist
zwar legal, aber allein aus ästhetischen Gründen verwerflich
- die Übernahme hoheitlicher Aufgaben mit Weisungsbefugnis gegenüber
der Zivilbevölkerung (z.B. Verkehrsregelung) ist gesetzlich streng
geregelt - im Spandauer Fall war sie grundgesetzwidrig. Zivile Aufgabenfelder
haben für die Bundeswehr tabu zu bleiben.
Bundeswehr und zivile
Veranstaltungen
Angekündigten
Trend zu Militär als Polizei im Innern bekämpfen!
Öffentlichkeitsarbeit
und rechtswidriger Einsatz
Ganz im Westen der Republik, im Saarland,
hat die Bundeswehr traditionell ein Heimspiel bei der Bevölkerung:
Die sogenannte Saarlandbrigade ist einerseits bei einer Vielzahl von gesellschaftlichen
Veranstaltungen im öffentlichen Leben präsent und akzeptiert,
andererseits bildet sie mit ihren Fallschirmspringern die spezialausgebildete
Vorhut der deutschen Interventionskontingente, d.h. der Truppen, mit denen
die neue Nato-Strategie umgesetzt wird, die Nato-Staaten die moralisch-ökonomisch-militärische
Weltherrschaft zu sichern beabsichtigen. Gesellschaftliche Akzeptanz ist
bei einem derart brisanten "Ernstfallprofil" Gold wert. Daher hilft die
Bundeswehr, wo sie kann: So Ende August beim Aktionstag des deutschen Sportbundes
für das Deutsche Sportabzeichen. Rund 150 Angehörige der 26.
Luftlandebrigade wurden zum Sportabzeicheneinsatz mit der Starterpistole
ins Stadion kommandiert. 535 Sportabzeichen gehen am Abend auf das Konto
der Bundeswehr.(1) Sicher
ist beim Auftreten und Tätigwerden der Bundeswehr in der Öffentlichkeit
zu differenzieren. Uniformierte auf dem Weg in die Kaserne oder nach Hause
sind ein ästhetisches Problem und als solches genauso ärgerlich
wie die Werbestände der BW bei Sportfesten und ähnlichen Veranstaltungen.
Aber Öffentlichkeitsarbeit ist der BW gestattet, das Uniformtragen
wird ausdrücklich angeregt, der Effekt, eine allgemeine Gewöhnung
und Akzeptanzsteigerung für das Militärische (und damit auch
für seine Existenz und Zwecke) zu erreichen, ist erwünscht und
nur auf dem Wege gut begründeter Militärkritik anzugreifen. Der
Ansatzpunkt der Kritik verschiebt sich bei Militäreinsätzen im
Katastrophenfall (Sturmfluteinsätze, Oderhochwasser). Die sind ebenfalls
legal, jedoch ist hier ganz klar das Mißverhältnis zu kritisieren
zwischen der aufdringlichen Selbstdarstellung militärischer Hilfsbeiträge
und dem Medieninteresse für die zivilen Katastrophendienste. Hätten
Dienst wie THW, Feuerwehr und viele kleine, unbekannte Initiativen zweistellige
Milliardenhaushalte, dann könnten diese ganz anders aktiv werden -
und nicht nur bei humanitären Katastrophen im Inland. Das eigentliche
Problem ist jedoch der Trend zur klammheimlichen Übernahme bzw. Anmaßung
hoheitlicher Aufgaben durch die Bundeswehr. Sie ist gesetzlich streng geregelt,
um einen Mißbrauch der Streitkräfte möglichst zu verhindern.
Diese Regelungen und ihre schleichende Mißachtung lassen sich am
Beispiel schön erläutern.
Bundeswehr im
zivilen Einsatz - eine beunruhigende Tendenz
Auch in der Hauptstadt setzt die Bundeswehr
auf Imagepolitur. Hat(te) sie in der "Hauptstadt der Verweigerer" bis 1990
überhaupt nichts zu suchen, versucht die Bundeswehr, ihre öffentliche
Präsenz seitdem beharrlich auszubauen. Neben den großen Gelöbnissen,
die noch regelmäßig auf antimilitaristischen Widerstand treffen,(2)
scheint sie nun auf die kleineren vermeintlich unverfänglicheren Gelegenheiten
zu setzen: Bei der 1. Spandauer Blade Night am 31. August 2000 war sie
mit 40 Feldjägern im Einsatz. Die Soldaten in Tarnuniform, teilweise
ausgerüstet mit dicken Rucksäcken, regelten z.T. gemeinsam mit
Polizeibeamten und z.T. selbständig in Zweiergruppen den Verkehr und
die Straßenabsperrungen um die Blade Night herum. Der Einsatz wurde
von einer gemeinsamen Einsatzleitung von Polizei und Bundeswehr koordiniert;
auf Bundeswehrseite zuständig war Hauptmann Weber. Die Soldaten des
Jägerbataillons 1 aus der Blücher-Kaserne in Kladow(3)
begaben sich bei dieser Gelegenheit in die Öffentlichkeit ohne das
Risiko öffentlicher Kritik: Ihr Standort wird am 3. Oktober eine offizielle
Partnerschaft mit dem Bezirk Spandau gründen ("Armee der Einheit").
Für den Bezirk sind enge Beziehungen zum Militär bzw. sogar eine
militärische Ausrichtung historisch nichts besonderes oder gar verwerfliches:
Spandau ist stolz auf seine Vergangenheit als Truppenstandort;(4)
bis ins frühe 20. Jahrhundert gab es ein großes Munitionsdepot
in der Spandauer Zitadelle. Ortsänsässige Rüstungsfabrikation
sorgte für Arbeitsplätze und Steueraufkommen; die Spandauer Zitadelle
ist bis heute eines der beliebtesten Ausflugsziele Spandaus mit seiner
militärhistorischen Ausstellung. Nach dem Zweiten Weltkrieg pflegten
der Bezirk und seine Bürger ein besonders enges Verhältnis mit
den Britischen Besatzungstruppen. Bei der Blade Night dürften sich
also die Mehrzahl der Spandauer Inline-Skater bei den Bundeswehrpolizisten
einfach nichts weiter gedacht haben. Warum auch? Weil ein derartiger Einsatz
von Bundeswehrtruppen nicht nur einfach rechtswidrig ist, sondern massiv
gegen das Grundgesetz verstößt.
So steht's im
guten, alten GG
Ausrichter der 1. Spandauer Blade Night war
das Bezirksamt Spandau. Die Idee, durch den Einsatz von Ordnern aus den
Reihen der Bundeswehr Kosten beim notwendigen Polizeieinsatz zu sparen,
dürfte hier ihren Ursprung haben. Skandalös ist nicht die Tatsache,
daß die Bundeswehr diesem Anliegen entgegenkam, weil es wiederum
ihr ureigenes Anliegen nach Imagepflege und Erweiterung ihres Aufgabenspektrums
befördert. Skandalös ist die Tatsache, daß sich die Bundeswehr
im Schulterschluß mit Verwaltung und Polizei auf einen derartigen
Verfassungsbruch einläßt. Artikel 87a "Aufstellung und Einsatz
der Streitkräfte" beschränkt die Einsetzbarkeit der Bundeswehr
eindeutig: "Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte
nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt."(5)
Der Verteidigungsfall lag bei der Spandauer Blade Night nicht vor. Diese
ausdrückliche Erlaubnis erteilt das GG im Zusammenhang mit dem "Spannungsfall",
den der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit feststellen muß oder der
durch die Zustimmung der Bundesregierung zu einer Aktion in einem Bündnisrahmen
zustande kommt.(6) Nur im
Spannungsfall ist der Einsatz der Streitkräfte rechtmäßig,
um "zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen"(7)
und auch dann nur soweit, wie dies zur Erfüllung ihres durch den Bundestag
bzw. eine Bündnisverpflichtung mit Regierungszustimmung zustande gekommenen
Auftrages erforderlich ist. "Außerdem kann den Streitkräften
im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte
auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen
werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden
zusammen."(8) Eine Abstimmung
im Bundestag über den Einsatz der Feldjäger während der
Spandauer Blade Night bzw. den dazu erforderlichen Spannungsfall fand ebensowenig
statt wie eine entsprechender Bündnisfall und eine damit zusammenhängende
Regierungsentscheidung. So läßt sich der Einsatz der Feldjäger
also nicht rechtfertigen.
"Notstandsverfassung"
Das GG liefert eine weitere Möglichkeit
für den rechtmäßigen Einsatz der Bundeswehr gegen die eigene
Zivilbevölkerung: "Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den
Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder
eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels
91 Abs. 2 vorliegen(9) und
die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte
zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze
von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch
bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften
ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen."(10)
Über die Relevanz einer Blade Night für die FDGO ließe
sich sicher streiten und die unzumutbare Überlastung von Berliner
Polizei und BGS durch den Hauptstadtschutz belegen die Klagen aus Polizeigewerkschaft,
Innenverwaltung und tv Berlin(11)
beinahe täglich. Da aber die Teilnehmer der Spandauer Blade Night
zwar organisiert (und zwar durch das Bezirksamt Spandau), jedoch nicht
- und auch nicht in Teilen - militärisch bewaffnet waren, taugt auch
diese Rechtsgrundlage nicht für den Einsatz der Feldjäger in
der Spandauer Innenstadt. Zusammenfassend läßt sich also feststellen,
daß es sich bei dem Bundeswehreinsatz in der Spandauer Innenstadt
am 31. August 2000 um eine schwerwiegende Grundgesetzesverletzung handelte.
Etwaige Pläne, derartige Militäreinsätze - aus welchen pragmatischen
oder Sparerwägungen auch immer - zur Regel werden zu lassen, und den
Versuchen, solche Einsätze durch die Kollaboration und Rechtfertigungsarbeit
anderer Verfassungsorgane (Kommunalverwaltung, Polizei) zu bagatellisieren,
muß systematisch entgegengetreten werden.
Militär beim Zivileinsatz denunzieren
Offensichtlich hat der Verfassungsbruch
beim Einsatz der Bundeswehr im Kosovo auch im allgemeinen Verfassungsverständnis
seine Spuren hinterlassen. Wie sich mittlerweile im Kosovo zeigt, sind
die Militärs aller Nationen der KFOR mit Polizeiaufgaben und der Unterstützung
des Aufbaus von zivilen Strukturen völlig überfordert. Statt
jedoch über zivile Wege zum Aufbau von Zivilgesellschaft nachzudenken,
scheint die Bundeswehr jetzt Polizeifunktionen auf heimischem Terrain einüben
zu wollen. Die durchgehend positive Beurteilung des Spandauer Einsatzes
bei den beteiligten Soldaten und Polizisten auf der Straße, gipfelnd
in der Einschätzung: "Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein!"
und die Tatsache, daß ein derartiger Druck der Bundeswehr in zivile
Bereiche in vielen Zusammenhängen und überall im Land festzustellen
ist, fordert uns heraus. Gerade solche harmlosen Aktivitäten wie Verkehrsregelung
bei Großveranstaltungen oder Infrastrukturhilfe bei Sportfesten wie
z.B. erst kürzlich der Versorgungsstand der Bundeswehr beim Berlin-Marathon
tragen bei zur Verankerung der "Nützlichkeit" des Militärs in
unseren Köpfen - und zur Verdrängung des eigentlichen militärischen
Zweckes. Wir richten daher eine "Email-Hotline" ein, auf der wir vergleichbare
Einsätze sammeln, dokumentieren, in einen systematischen Zusammenhang
stellen und skandalisieren wollen. Wir rufen auf zur Einsendung von Kurzberichten
(auch tabellarisch oder stichwortartig) mit dem Was? Wann? Wer? Wo? Wie
viele? zu allen möglichen Bundeswehraktivitäten außerhalb
von Kaserne und Manöver. Wir wollen keine Spielräume für
die Bundeswehr in zivilen Zusammenhängen, wir wollen auch keine "Entlastung"
von Polizei, Katastrophenschutz etc. durch die Streitkräfte, sondern
wir wollen militärische Potentiale durch Abrüstung und Konversion
für die zivile Nutzung verfügbar machen. eus
Bundeswehrbeteiligung bei zivilen
Veranstaltungen
Wie? Was? Wann? Wer? Wo? Wie
viele?
Meldungen bitte an bundeswehrmonitor@antimilitarismus-information.de
oder
antimilitarismus information,
Kurfürstenstraße 14,
10785 Berlin,
fax 030/2579 7342,
Kennwort: Bundeswehrmonitor
Anmerkungen:
(1) FAZ, 21.8.00, S. 36
(2) vgl. ami 3/98, 7/98, 6/99
(3) Von der in Kladow im Süden Spandaus
gelegenen Blücher-Kaserne aus wird das IV. Korps der Bundeswehr geleitet.
Es besteht aus 9000 Soldaten und Zivilbediensteten, die in Berlin, Brandenburg,
Sachsen, Hessen und Niedersachsen stationiert sind. Das Jägerbataillon
ist eine Einheit und war bis zur derzeitigen Umstrukturierung der BW Teil
der Krisenreaktionskräfte. Berliner Zeitung, 22.9.98
(4) So sucht die Historische Spandauer
Stadtgarde ständig neue Stadtgardisten; Spandauer Volksblatt, 30.8.00
(5) GG Art. 87a Abs. 2
(6) GG Art. 80a
(7) GG Art. 87a Abs. 3
(8) GG Art. 87a Abs. 3
(9) D.h. wenn ein betroffenes Bundesland
in einer Situation "Inneren Notstandes" unzureichende Bereitschaft oder
Fähigkeit zur Gefahrenbekämpfung zeigt.
(10) GG Art. 87a Abs. 4
(11) tv Berlin ist der unsägliche
lokale Berliner Privatsender, wo selbst dem Rechtsaußen und ehemaligen
Berliner Innensenator Heinrich Lummer (CDU, Bezirksverband Spandau) regelmäßig
in einem Polit-Talk die Moderatorenrolle überlassen wird.