Home * Bestellformular * mailto:redaktion@antimilitarismus-information.de * Homepage-Suche * Jahrgänge
back!

Ausgabe 10/00   Seite 5ff

In der jüngsten Debatte über den Rechtsextremismus in Deutschland sind vor allem das Verbot der NPD und anderen repressiven Maßnahmen im Gespräch. Wie immer man staatliche Repression gegen rechts beurteilen mag, die Ursachen von Rassismus und rechtsextremer Gewalt bleiben im öffentlichen Diskurs meist im Hintergrund. Statt den Gründen für eine erschreckend weite Verbreitung rassistischen und autoritärem Gedankengut in der gesamten Bevölkerung nachzuspüren, ist der Fokus der Empörung auf die rassistischen Gewalttaten der Stiefelfaschisten beschränkt. Die gesellschaftlichen Ursachen werden meist nur oberflächlich untersucht und einfache Erklärungen wie Arbeitslosigkeit oder Perspektivlosigkeit von Jugendlichen angeführt. Mit der Reduzierung auf die Formel "rechte Jugendgewalt" wird das Problem nur als eine gesellschaftliche Randerscheinung angesehen. Das augenscheinlich besonders hohe Maß an rassistischer Gewalt in den neuen Bundesländern wird auf diese Weise zumeist mit dem Hinweis auf die schwierige soziale Lage für Jugendliche in Ostdeutschland und den Belastungen durch die Wiedervereinigung begründet. Ich dagegen vertrete die Position, daß der in den neuen Bundesländern besonders stark verankerte Rechtsextremismus mit der politischen Kultur und der autoritären Sozialisation in der DDR im Zusammenhang steht.

Thorsten Wallstab

Arbeitslose und andere Opfer?

Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern

Die Unterschiede zwischen Ost und West

Der Rechtsextremismus(1) in Deutschland unterscheidet sich in seiner Erscheinungsform und auch in seinem Ausmaß in den neuen Bundesländern von dem in den alten. In Westdeutschland äußern sich rechtsextreme Einstellungen eher im Wahlverhalten, und die rechtsextreme Strukturen sind an Parteien und Organisationen gebunden. In Ostdeutschland hat sich dagegen in einigen Städten und Orten eine rechtsextreme Subkultur herausgebildet, die teilweise dominierend unter den dort ansässigen Jugendlichen ist. Die Zahl der rassistischen Übergriffe und die Bereitschaft zur Gewalt ist in den neuen Bundesländern wesentlich höher, wie die Statistiken der rechtsextremen Gewalttaten im Verfassungsschutzbericht zeigen.(2) Aber nicht nur die Gewaltbereitschaft, sondern die Verbreitung von rechtsextremen Gedankengut generell scheint im Osten höher zu sein, denn die militanten Jugendlichen stehen mit ihren rechten Ansichten in der Bevölkerung oft nicht allein da. Eine von den Berliner Politologen Richard Stöss und Oskar Niedermayer im Mai/Juni 1998 initiierte Umfrage ergibt, daß das Potential für rechtsextreme Einstellungen in der BRD bei 12% in den alten und bei 17% in den neuen Bundesländern liegt.(3) Die Umfrage zeigt weiterhin, daß rechtsextremes Gedankengut kein spezifisches Jugendproblem ist, sondern in allen Altersschichten verbreitet ist. Sind im Westen rechtsextreme Einstellungen in höheren Altersschichten sogar noch wesentlich häufiger anzutreffen, so sind im Osten die Einstellungen in etwa über alle Altersgruppen gleich verteilt.(4) Wenn die Zahlen richtig sind, stellt sich die Frage, warum in Ostdeutschland das rechtsextreme Einstellungspotential fast um die Hälfte größer ist als in Westdeutschland und auch das Ausmaß rassistischer Gewalttaten nicht zu vergleichen ist. Als der Kriminologe Christian Pfeiffer 1999 bei einer Veranstaltung in Magdeburg eine mögliche Erklärung für den unterschiedlichen Grad des Rechtsextremismus in Ost und West vorlegte, indem er die These vertrat, daß der Rechtsextremismus in Ostdeutschland durch die autoritäre staatliche Erziehung der DDR verursacht wäre, kam es zu heftigem Protest und tumultartigen Szenen.(5) Doch auch wenn dieser Erklärungsansatz in Ostdeutschland auf Widerspruch stößt, muß die Frage erlaubt sein, ob nicht die spezifische Sozialisation in dem autoritären Gesellschaftssystem der DDR mit dazu beigetragen haben könnte, bei den Individuen autoritäre Charakterdispositionen zu entwickeln, die dann zu rechtsextremen Einstellungen führen. Wissenschaftliche Studien bestätigen jedenfalls einen höheren Prozentsatz autoritärer Einstellungen in Ostdeutschland. Im Frühsommer 1998 lag nach Umfragen von Stöss/Niedermeyer das Potential autoritärer Einstellungen in Westdeutschland bei 10% und in Ostdeutschland bei 16%.(6) Eine vergleichende Untersuchung über die Verbreitung von Autoritarismus unter ostdeutschen und westdeutschen Jugendlichen 1990/91 von Gerda Lederer kommt zu ähnlichen Ergebnissen.(7) Den möglichen Auswirkungen einer autoritären Sozialisation in der DDR nachzuspüren, bedeutet nicht, daß die alte BRD notwendig idealisiert und Rechtsextremismus als rein ostdeutsches Problem betrachtet werden muß. Der Rechtsextremismus in (Ost-)Deutschland ist nicht aus einem einzigen Erklärungsmodell abzuleiten. Vielmehr spielen eine Vielzahl von Faktoren bei seiner Entstehung und Verbreitung eine Rolle. Rechtsextremismus und Rassismus werden u.a. durch rassistische Diskurse von Politik und Medien, wie der Diskussion um Ausländerkriminalität, der Unterschriftenkampagne der CDU/CSU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder der "Kinder statt Inder"-Kampangne von Jürgen Rüttgers gegen die Green Card für Ausländer, durch ideologische Legitimierung des erhöhtes Nord-Süd Wohlstandsgefälle und Abschottung der EU gegenüber ärmeren Staaten, durch sozialdarwinistische Marktideologie und Konkurrenzdruck, durch tradierte antidemokratische Mentalitäten der deutschen politischen Kultur, durch den Nationalismus der sich konstituierenden "Berliner Republik" und durch die aktuelle politische sowie individuelle Situation hervorgerufen bzw. begünstigt. Diese Faktoren betreffen den Rechtsextremismus in Ost- wie in Westdeutschland in der gleichen Weise, von einem rein ostdeutschen Problem kann also keine Rede sein. Der graduelle Unterschied des ostdeutschen Rechtsextremismus kann trotzdem erklärt werden.

Rechtsextremismus in der DDR

Der Rechtsextremismus schien nach der Maueröffnung in Ostdeutschland, oberflächlich betrachtet, plötzlich aus dem Nichts entstanden zu sein. Denn manch einer glaubte, daß es in einem Staat, in dem der Antifaschismus propagiert und anerzogen wurde sowie Völkerfreundschaft und Internationalismus als Werte galten, keinen Rechtsextremismus geben konnte. Dies entsprach auch der offiziellen Propaganda des SED-Regimes. Und doch war Rechtsextremismus auch in der DDR, wie u.a. die Recherchen von Bernd Wagner offenbarten, ein Bestandteil des gesellschaftlichen Alltags.(8) In den achtziger Jahren bildete sich eine Skinheadszene, die von der Polizei auf 1500 Jugendliche geschätzt wurde,(9) und es häuften sich vor allem seit 1987 mit steigender Tendenz rassistische Übergriffe und Schmierereien auf jüdischen Friedhöfen(10). Nach Polizeiangaben wurden in den Jahren 1988/1989 etwa 500 Verfahren gegen Mitglieder der rechten Szene eingeleitet, wobei die Dunkelziffer wesentlich höher liegen dürfte.(11) Spektakulärer Höhepunkt und nicht mehr geheimzuhalten, wie es bis dahin üblich gewesen war, war der brutale Überfall von 80 Skinheads am 17. Oktober 1987 auf ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche.(12) Da wissenschaftliche Untersuchungen in der DDR über das rechtsextreme Potential nicht zugelassen wurden und somit keine genauen Zahlen über die tatsächliche Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in der DDR existierten, ist weder ein Ost-West-Vergleich in der Zeit vor der Wende möglich, noch sind Angaben darüber möglich, ob das rechtsextreme Potential im wiedervereinigten Deutschland im Vergleich zu vor 1990 angestiegen ist oder nicht. Die Ergebnisse der Untersuchungen von Bernd Wagner oder Bernd Siegler über rechte Aktivitäten in der DDR widerlegen jedoch diejenigen, die den Rechtsextremismus in Ostdeutschland ausschließlich auf die Folgen der Wende zurückführen oder als westdeutschen Import betrachten. Trotz offiziellem Internationalismus und Antifaschismus war der Rechtsextremismus auch der DDR-Gesellschaft nicht fremd.

Völkerfreundschaft und Rassismus

"Proletarischer Internationalismus" und "internationale Solidarität" galten als Prinzipien der DDR. Mit den "sozialistischen Bruderländern" des Warschauer Paktes und Staaten wie Angola, Kuba und Vietnam wurde u.a. in zwischenstaatlichen Verträgen die "Völkerfreundschaft" propagiert. Es muß aber genauer analysiert werden, ob das Prinzip der Völkerfreundschaft auch in der realen Politik des SED-Regimes umgesetzt wurde und ob es in seinem inhaltlichen Wesensgehalt auch die DDR-BürgerInnen in ihren Denken und Handeln bestimmte, oder ob diese nicht vielmehr jenes Prinzip bloß passiv ertragen und insgeheim abgelehnt haben. Die Diskrepanz zwischen den offiziellen Prinzipien und der Realität wird bei dem Umgang mit den VertragsarbeiterInnen aus den Ländern der "befreundeten Völker" deutlich. Bernd Siegler zeichnet in seiner Recherche über den Rechtsextremismus in der DDR eindrucksvoll nach, wie die VertragsarbeiterInnen von der staatlichen Politik diskriminiert wurden. Demnach wurden die VertragsarbeiterInnen von der übrigen Bevölkerung isoliert in Wohnheimen am Stadtrand unter miserablen Wohnbedingungen (5m² pro Person) quasi ghettoisiert und einem rigiden System von Verboten und Reglementierungen unterworfen. So hatten Ehepaare beispielsweise keinen Anspruch auf eine gemeinsame Unterbringung, Besuche in die Heimat waren fast unmöglich, schwangere Frauen wurden konsequent abgeschoben. Die Diskriminierung setzte sich am Arbeitsplatz fort. Die VertragsarbeiterInnen bekamen die schlechteste Arbeit, erhielten weniger Lohn als die DDR-BürgerInnen und mußten einen Teil des Lohns auch noch auf Konten in die jeweiligen Heimatstaaten überweisen.(13)

Der verordnete Antifaschismus

Nach offizieller Version waren der Faschismus und seine Wurzeln in der DDR völlig ausgerottet. Doch sollte der offizielle Antifaschismus, wie er in der DDR propagiert und im Erziehungssystem gelehrt wurde, wirklich die Vergangenheit bewältigt und aufgearbeitet haben, oder war er als ein von oben "verordneter Antifaschismus" (Ralph Giordano)(14) nicht eher ein ideologisches Trugbild, das die Realität kaum erfaßte? Auf den ersten Blick schien die Entnazifizierung in der DDR tatsächlich wesentlich konsequenter erfolgt zu sein als in der BRD. Der NS-Verwaltungsapparat wurde für den Aufbau einer neuen Administration nicht wie in der BRD pauschal übernommen. NS-Anhänger kamen in der DDR wesentlich seltener wieder in Amt und Würden, NS-Richter und Staatsanwälte wurden nicht unbehelligt wie in der BRD übernommen, und es wurden auch wesentlich mehr NS-Verbrecher verurteilt.(15) Mit der Zerschlagung der finanzkapitalistischen und großindustriellen Kräfte sowie der Enteignung der ostelbischen Junker durch die Bodenreform wurden zwar für den Nationalsozialismus mitverantwortliche Kräfte beseitigt, doch nach der ökonimistischen Faschismusauffassung, wie sie von der VII. Kommunistischen Internationale 1935 definiert worden war und dann auch von der SED übernommen wurde, war die Beseitigung des "Monopolkapitalismus" für die endgültige "Ausrottung" des Nationalsozialismus schon hinreichend genug. Denn nach der Definition des Generalsekretärs der VII. Kommunistischen Internationale, Georgi Dimitroff, war der Faschismus ausschließlich die "offen terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals".(16) Eine solche Faschismusdefinition blendet aber vollkommen aus, daß der Nationalsozialismus auf einer breiten Unterstützung in der deutschen Bevölkerung basierte. Die Massen wurden durch eine solche ökonomistische Faschismusdefinition per se von Schuld freigesprochen und eine Aufarbeitung der Vergangenheit, welche die Begeisterung der Massen für den Nationalsozialismus thematisierte, konnte nicht erfolgen. Statt dessen erklärte der dritte Parteitag der SED im Juli 1950 die Ausrottung der Wurzeln des Faschismus in der DDR. 1945 wurde als "Stunde Null" betrachtet und Faschismus fortan nur noch als ein westdeutsches Phänomen bewertet. Die DDR-Bürger wurden nachträglich zu "Siegern der Geschichte" erklärt. Antifaschistische Erziehung wurde zum Grundpfeiler der Volksbildung in der DDR, und Antifaschismus Pflicht in Schule und Gesellschaft.(17) Die Antifaschistische Erziehung entsprach der ökonomistischen Faschismusauffassung der SED. So wurde beispielsweise der Widerstand von KPD und Arbeiterklasse glorifiziert, die Anfälligkeit der Arbeiter für den Nationalsozialismus aber tabuisiert.(18) Die Frage ist allerdings, ob der "verordnete Antifaschismus" völlig leergelaufen ist und ausschließlich kontraproduktive Effekte hatte. So sind nach Untersuchungen Kenntnisse über den Nationalsozialismus im Osten weit mehr verbreitet als in den alten Bundesländern.(19) Trotzdem ist es offensichtlich, daß trotz des offiziell gepflegten Antifaschismus die nationalsozialistische Vergangenheit genauso wie in der BRD völlig unzureichend aufgearbeitet wurde. Die unaufgearbeitete Vergangenheit, war von Anfang an ein Versäumnis, das prägend für die politische Kultur der DDR war und antidemokratische und rechte Mentalitäten konservierte.

Die DDR als "deutscheres Deutschland"

Ein wesentlicher Bestandteil der politischen Kultur der DDR war auch die Kontinuität historisch weit zurückreichender Mentalitäten und Traditionen der deutschen Geschichte und Kultur. Antidemokratische Elemente der deutschen politischen Kultur des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus fanden im autoritären Staatsbürokratismus, der nach den Prinzipien von Befehl und Gehorsam fungierte, Meinungsfreiheit, Demokratie und Abweichung von der Norm nicht zuließ und Konflikte mit Ausgrenzung beantwortete, ihre Fortsetzung . Im bürokratischen Staatsozialismus lebte die formal-etatistische Grundausrichtung der politischen Kultur Deutschlands weiter.(20) Besonders fällt der positive Bezug auf die sogenannten "deutschen Sekundärtugenden", Fleiß, Disziplin, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit und Gehorsam auf, die für die preußisch-protestantische Kultur besonders prägend waren. Familiensinn und Häuslichkeit, die Hochschätzung tradierter Arbeits- und Pflichttugenden sowie die Achtung vor der Obrigkeit waren verbreitete Einstellungen unter der DDR-Bevölkerung.(21) Das SED-Regime griff die preußischen Sekundärtugenden auf und funktionalisierte traditionelle deutsche Werthaltungen und Einstellungen für die Stabilisierung des SED-Regimes. (22) Gehorsam, Fleiß, Disziplin, Unterwerfung und Anpassung wurden zur Eckpunkten der sozialistischen Erziehung, die Elemente einer wilhelminischen Untertanenerziehung. Antidemokratische und preußisch-autoritäre Mentalitätsbestände beeinflußten zwar auch die politische Kultur der BRD, doch scheint die Kontinuität autoritärer Mentalitäten durch den Einfluß der alliierten demokratischen Erziehung und der antiautoritären 68er Bewegung in der BRD doch brüchiger zu sein, als es in der DDR der Fall war. Die DDR erschien als das "deutschere Deutschland", wie es Martin und Sylvia Greiffenhagen auf den Punkt bringen.(23) Auch westdeutsche Rechtsextremisten scheinen übrigens derselben Auffasssung zu sein. So lobte die Nationalistische Front kurz nach der Wende die DDR mit der Begründung, daß die BRD "von Anfang an auch Geist, Seele und Kultur unseres Volkes zerstört" hätte, 40 Jahre DDR dagegen eine "Atempause für völkische Substanz, Kultur und Sitte"(24) gewesen seien.

Autoritarismus und DDR-Sozialisation

Das SED-Regime war sehr daran interessiert, die Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu kontrollieren und eine "sozialistische Persönlichkeit" zu schaffen, wie es als Ziel im Jugendgesetz formuliert wurde. Der Staat übernahm Verantwortung für jeden einzelnen Herzschlag, verplante die Lebensentwürfe der Individuen, garantierte Schutz und Obhut und verordnete Gehorsam. Die jugendpolitische Sozialisation in der DDR war durch Unterordnung individueller Interessen unter das von der SED definierte Gesamtinteresse, durch Anpassung an vorgegebene Strukturen, durch Verlust von Autonomie und durch die Geringschätzung individueller Freiheitsrechte gegenüber Staat und Partei gekennzeichnet.(25) In der DDR setzte die staatliche Erziehung schon in frühester Kindheit an, denn schon im Alter von sechs Monaten kam man in die Kinderkrippe. Hier setzt die Kritik des Kriminologen Christian Pfeiffer an, der sich 1999 mit seinen Thesen zu der staatlichen Erziehung in der DDR zu Wort meldete. Pfeiffer sieht eine der Ursachen für die rechtsextreme Gewalt in den neuen Ländern in der staatlichen Erziehung des SED-Regimes, welches seine Bürger zu angepaßten Ich-schwachen Untertanen herangezogen hätte, die sich nun nach einem starken Führer sehnten und ihre Aggressionen an Ausländern auslassen würden. Die DDR-Erziehung hätte die Individualität unterdrückt, statt dessen Disziplin, Ordnung und Sauberkeit als Erziehungswerte ausgegeben und wäre damit der Untertanenerziehung des Kaiserreichs ähnlich gewesen.(26) Schon in der Kinderkrippe sei gruppenorientiert erzogen und die Unterordnung der Individualität unter das Kollektiv erwünscht gewesen.(27) Diese Erziehungsideale unterschieden sich dann doch von denen der BRD. Dort wurde die Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit und von Individualismus zu Maximen pädagogischer Erziehungskonzepte. Allerdings setzten sich diese Entwicklungskonzepte erst langsam, beeinflußt durch die antiautoritäre Studentenrevolte 1968, in der BRD durch. In den fünfziger und sechziger Jahren waren die Erziehungskonzepte noch durch die Generation, die autoritär im Nationalsozialismus aufgezogen wurde, geprägt. Die Rebellion gegen die rückständigen Erziehungsstile war etwas, was in der DDR fehlte und sie von der BRD unterschied.(28) Die sozialistische Erziehung zu Konformismus, Disziplin und Fleiß setzte sich von Kinderkrippe und Kindergarten über die Schule bis hin zu den sozialistischen Jugendorganisationen fort. Das Schul- und Bildungssystem der DDR war von ideologischer Indoktrinierung, Erziehung zu Ordnung, Disziplin und Sauberkeit, Reproduzieren und Auswendiglernen von Ideologie und Faktenwissen sowie der Tabuisierung aktiver Mitgestaltung seitens der SchülerInnen geprägt. Entfaltungsmöglichkeiten, kreatives und selbständiges Denken, Kritik und die Fähigkeit, Probleme zu artikulieren, wurden unterdrückt.(29) Auch die Jugendorganisationen des SED-Regimes, die Jungpioniere, die Thälmann-Pioniere und die Freie Deutsche Jugend (FDJ) waren ein weiteres Einflußgebiet staatlicher Erziehung, in dem die "sozialistischen Werte" vermittelt werden konnten. Die Anpassung an das System von Belohnung und Sanktion konnte schon frühzeitig erlernt werden, da das Engagement in der FDJ einen wichtigen Bonus für die Realisierung von Berufs- und Ausbildungswünschen bedeutete.(30) Die staatliche Erziehung zur Anpassung, Unterordnung und Unselbständigkeit wurde durch das alltägliche autoritäre Gesellschaftssystem der DDR, in welchem Abweichung von der Norm, Meinungsfreiheit und demokratische Konfliktaustragung nicht geduldet waren und mit Repression beantwortet wurden, ständig ergänzt und verfestigt. Die These, daß die Sozialisation in der DDR aufgrund der staatlichen Untertanenerziehung ein Nährboden für die Entstehung autoritärer Dispositionen ist, scheint meiner Ansicht nach daher ziemlich plausibel. Den Einwand, daß diese Annahme nicht stimmen könne, da die Gewalttaten heute von Jugendlichen ausgeübt würden, die hauptsächlich bereits im wiedervereinigten Deutschland sozialisiert wurden, halte ich für unberechtigt. Diese Argumentation reduziert den Rechtsextremismus auf ein Jugendproblem und verkennt die hohe Akzeptanz rassistischer Einstellungen in der Gesamtbevölkerung in Ostdeutschland.(31) Erst in einem solchen Milieu werden die rassistischen Gewaltaten von Jugendlichen erst möglich.

Die politische Kultur des Vorurteils

Ein Nährboden für autoritäre und rechtsextreme Einstellungen, wie sie heute in Ostdeutschland so häufig anzutreffen sind und sich zu einer rechten Jugendkultur(32) verdichten, ist also durch die autoritäre Sozialisation und die politische Kultur der DDR entstanden. Der Ausbruch rechtsextremer Gewalt in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung, der trotz unsicherer Datenlage den Rechtsextremismus in der DDR wahrscheinlich übertrifft, ist aber nur im Kontext des politischen Klimas und der politischen Kultur in Gesamtdeutschland nach 1989, also Rahmenbedingungen, die für Ost und West gleichermaßen gelten, vollständig zu begreifen.(33) Ob sich rassistische und rechtsextreme Einstellungen in konkrete Gewalttaten entladen, ist auch davon abhängig, ob das politische Klima Rassismus tabuisiert, oder ob in den Alltagsdiskursen der Elite und den Medien selbst rassistische Vorurteile reproduziert und verbreiten werden. Eine Reihe von Untersuchungen zeigen, in welcher Weise (rassistische) Diskurse politischer Eliten und der Medien die Bereitschaft zur rassistischen Gewalt verstärken und legitimieren.(34) Der rechtsextreme Gewalttäter sieht sich dann nicht als Rebell gegen die Gesellschaft, wie er in der oberflächlichen Diskussion oft dargestellt wird, sondern als "Vollstrecker des Volkswillens". Eine Reihe von Debatten im wiedervereinigten Deutschland über die Ausländer- und Asylpolitik reproduzierten in ihrer Sprache und Polemik rassistische Vorurteile: zunächst die Kampagne zur Änderung des Grundgesetzes zur Einschränkung des Asylrechtes ("Das Boot ist voll"), dann die Debatte über Ausländerkriminalität und Innere Sicherheit, ("wer unser Gastrecht mißbraucht, muß raus - und zwar schnell"/ Gerhard Schröder), dann die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft der CDU ("Anschlag auf die Innere Sicherheit"/ Günther Beckstein), eine erneute Diskussion über eine weitere Verschärfung des Asylrechts ("Die Grenzen der Belastbarkeit sind überschritten"/ Otto Schily) und schließlich die Kampagne von Jürgen Rüttgers gegen die Green Card für Ausländer ("Kinder statt Inder").

Fazit

Die autoritäre Sozialisation in der DDR ist meiner Ansicht nach eine der Ursachen für den in Ostdeutschland gegenüber den alten Bundesländern graduell stärkeren Rechtsextremismus. Dieser Zusammenhang ist allerdings nicht so eindeutig, wie er manchmal beispielsweise von den Medien dargestellt wird, wenn meist vereinfachend behauptet wird, daß ein autoritäres System notwendig autoritäre BürgerInnen hervorbringen muß. Die Sozialisation in der DDR wurde natürlich individuell höchst unterschiedlich aufgenommen und verarbeitet und führte keineswegs zwangsläufig zu einer autoritären Disposition. Insbesondere bei Jugendlichen war im Gegenteil eine große Diskrepanz zwischen den Wertvorstellungen und propangandistischen Zielen des DDR - Regimes und dem Alltagsdenken festzustellen.(35)

Trotzdem ist es nachvollziehbar, wie vor allem die Sozialisation außerhalb der Familie, die stark durch die staatliche Erziehung des SED-Regimes geprägt war, den individuellen Autoritarismus potentiell begünstigte. Die staatliche Erziehung zu einer "sozialistischen Persönlichkeit" intendierte die Unterdrückung der Individualität und die Unterordnung gegenüber dem Kollektiv und bedeutete eine Erziehung zu Disziplin, Fleiß, Gehorsam und Ordnung. Anfangend von den Säuglingskrippen bis hin zu den Jugendorganisationen des SED-Regimes wurden diese Erziehungswerte, die in einigen Elementen an eine Untertanenerziehung, wie sie im Kaiserreich stattfand, anknüpfte, der Jugend eingetrichtert. Zentrale Elemente des klassischen Autoritarismus, wie sie bereits die politische Psychologie der Frankfurter Schule(36) beschrieb, wie etwa Konformismus und Unterordnung, wurden so in der Sozialisation einem Heranwachsenden jahrelang vermittelt, von einigen vielleicht verinnerlicht. Die Art und Weise der Sozialisation tritt dabei mit den politisch-kulturellen Bedingungen in Wechselwirkung. Das politischen System und die politischen Kultur der DDR durch Kontinuitäten zur obrigkeitsstaatlichen deutschen Tradition und zu preußischen-autoritären Werthaltungen gekennzeichnet. Dazu kommt, daß, wie in der BRD, die nationalsozialistische Vergangenheit in der angeblich antifaschistischen DDR-Gesellschaft unaufgearbeitet blieb und Rassismus, Nationalismus und Ausgrenzung Teil gesellschaftlicher Praxis waren. Dies alles führte meiner Ansicht nach dazu, daß in Ostdeutschland ein gefährlicher Nährboden für rechtsextremes Gedankengut entstanden ist, der durch das nach rechts verschobene Klima des wiedervereinigten Deutschland, in dem rassistische Vorurteile auch durch die Benutzung durch die politischen Eliten immer mehr enttabuisiert werden, weiter verstärkt wird.

Anmerkungen:  
(1) Ich verwende den Begriff Rechtsextremismus als Gesamtbegriff für Phänomene wie Autoritarismus, Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Sozialdarwinismus und (Wohlstands-)Chauvinismus. Trotz des problematischen Extremismusbegriffs, der eine scharfe Trennlinie zwischen der demokratischen Mitte und dem extremistischen Rand suggeriert, hat sicher dieser Begriff bei den meisten WissenschaftlInnen durchgesetzt. Andere Begriffe, die in der Forschung verwendet werden sind Rechtsradikalismus oder Neofaschismus.
 
(2) 1999 wurden für die neuen Bundesländer 2,4 rechtsextreme Gewalttaten je 100.000 Einwohner registriert, in den alten Ländern dagegen nur 0,7; siehe: Bundesministerium des Inneren: Verfassungsschutzbericht 1999, Berlin 2000, S.22
 
(3) Richard Stöss / Oskar Niedermayer: Rechtsextremismus, politische Unzufriedenheit und das Wählerpotential rechtsextremer Parteien in der Bundesrepublik Deutschland im Frühsommer 1998, Arbeitspapiere des Otto-Stammer-Zentums Nr.1; Freie Universität Berlin, Berlin 1998, S.10
 
(4) Stöss/Niedermayer 1998, S.13
 
(5) Jungle World, 17.3.99
 
(6) Stöss/Niedermayer 1998, S. 11
 
(7) Gerda Lederer, u.a.: Autoritarismus unter Jugendlichen der ehemaligen DDR, in: Deutschlandarchiv, 6/1991, S. 587-596; vgl. auch: Gerda Lederer/ Peter Schmidt (Hrsg.): Autoritarismus und Gesellschaft. Trendanalysen und vergleichende Jugenduntersuchungen 1945 - 1993, Opladen 1995, S. 167 - 188: Bei einem für die Autoritarismusforschung klassischen Satz "Zu den wichtigsten Eigenschaften, die jemand haben kann, gehört disziplinierter Gehorsam der Autorität gegenüber" reagierten die Jugendlichen in Westdeutschland mit 14,9% Zustimmung, 18,8% waren unentschieden, und 56,3% lehnten diesen Satz ab. Die ostdeutschen Jugendlichen dagegen fanden für diesen Satz 29,3% Zustimmung, waren zu 31,4% unentschieden und lehnten ihn nur zu 38,7% ab.
 
(8) Bernd Wagner: Extreme in Rechts - Die DDR als Stufe zum Heute, in: Robert Harnischmacher: Angriff von Rechts, Rostock 1993, S. 117-124
 
(9) Norbert Madloch: Rechtsextremismus in der Endphase der DDR und nach der Vereinigung von DDR und Bundesrepublik Deutschland - Chronologie, in: Robert Harnischmacher: Angriff von Rechts, Rostock 1993, S.201-253
 
(10) vgl.: Bernd Siegler: Auferstanden aus Ruinen, Rechtsextremismus in der DDR, Berlin 1993, S.61- 73
 
(11) Wagner 1993, S. 121
 
(12) Siegler 1991, S.64
 
(13) vgl.: Siegler 1991, S. 140ff
 
(14) Ralph Giordano: Die zweite Schuld oder von der Last Deutscher zu sein, Hamburg 1991, S. 215-228
 
(15) Bis zur Wiedervereinigung wurden in der DDR 12.879 NS-Verbrecher verurteilt und in der BRD nur 6.482. Zahlen aus: Siegler 1991, S.110
 
(16) zitiert nach: Butterwegge 1996, S. 50
 
(17) vgl.:Wilfried Schubarth/ Ronald Pschierer/ Thomas Schmidt: Verordneter Antifaschismus und die Folgen. Das Dilemma antifaschistischer Erziehung in der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Bd. 9/1991, S. 6
 
(18) Das deutlichste Anzeichen für die mangelnde Vergangenheitsaufarbeitung war die Tatsache, daß der Holocaust in der antifaschistischen Erziehung nur ein Randthema war. Bei den Opfern des NS-Regimes wurden die aktiven Widerstandskämpfer in den Vordergrund geschoben, die ermordeten Juden dagegen eher vergessen. Das DDR-Lehrbuch "kleines politisches Wörterbuch" erwähnt unter dem Stichwort "Konzentrationslager" die Vernichtung der Juden nur in einem einzigen Satz, ansonsten wurden nach dem Forschungsstand der DDR-Wissenschaft die "politischen Gegner des Naziregimes terrorisiert, ökonomisch ausgebeutet und physisch beseitigt".1
 
(19) Stöss, Richard, Rechtsextremismus in einer geteilten politischen Kultur, in: Oskar Niedermeyer/ Klaus von Beyme (Hrsg.), Politische Kultur in Ost- und Westdeutschland, Berlin 1994, S. 113
 
(20) vgl. Butterwegge 1996, S. 51
 
(21) vgl.: Martin und Sylvia Greiffenhagen: Die ehemalige DDR als das "deutschere" Deutschland? in: Martin Greiffenhagen, u.a.: Die neuen Bundesländer, Stuttgart 1994, S. 9
 
(22) vgl.: Butterwegge 1996, S. 17
 
(23) Greiffenhagen, M.u S., 1994
 
(24) zitiert nach: Siegler 1991, S. 76
 
(25) vgl.: Bettina Rohn: "Wir stehn´für die deutsche Ordnung und die deutsche Sauberkeit, sind aber keine Neonazis!", in: Gerda Lederer/ Peter Schmidt (Hrsg.): Autoritarismus und Gesellschaft. Trendanalysen und vergleichende Jugenduntersuchungen 1945 - 1993, Opladen 1995, S. 189-220
 
(26) Interview mit Christian Pfeiffer, Jungle World 17.3.99
 
(27) Interview mit Christian Pfeiffer, die tageszeitung, 22.3.99
 
(28) vgl.: die tageszeitung (taz)/ Magazin am 27./28. März 1999: "Generation Haß"
 
(29) vgl.: Rohn 1995, S. 193/194
 
(30) vgl.: Rohn 1995, S. 192
 
(31) Die Umfragen von Stöss/ Niedermayer ergeben, daß bei einem Potential rechtsextremer Einstellungen von insgesamt 17% in Ostdeutschland, die 14-17jährigen mit 17% im Durchschnitt liegen, die 18-24jährigen mit 15% knapp darunter und die 25-30jährigen mit 20% nur knapp über den Durchschnitt liegen
 
(32) vgl.: Bernd Wagner, Rechtsextremismus und kulturelle Subversion in den neuen Ländern, Berlin 1998
 
(33) Ein guter Überblick zum Zusammenhang von Rechtsextremismus und politischer Kultur siehe Butterwegge 1996, S. 133-160; außerdem Birgit Rommelspacher, Dominanzkultur, Texte zur Fremdheit und Macht, Berlin 1995
 
(34) vgl.: Teun A. van Dijk. Rassismus heute: Der Diskurs der Elite und seine Funktion für die Reproduktion des Rassismus, DISS - Texte Nr. 14 oder Hajo Funke, Brandstifter. Deutschland zwischen Demokratie und völkischen Nationalismus, 1993
 
(35) vgl.: Walter Friedrich: Einstellung zu Ausländern bei ostdeutschen Jugendlichen. Autoritäre Persönlichkeit als Stereotyp, in: Hans-Uwe Otto/ Roland Merten (Hrsg.): Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland. Jugend im gesellschaftlichen Umbruch, Opladen 1993
 
(36) vgl: Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt am Main, 1973
 

Home * Bestellformular * mailto:redaktion@antimilitarismus-information.de * Homepage-Suche * Jahrgänge