Home * Bestellformular * mailto:redaktion@antimilitarismus-information.de * Homepage-Suche * Jahrgänge

back!

Ausgabe 1/00   Seite 18ff

Der Umbau der Bundeswehr schreitet fast unbemerkt voran. Im Mai soll die Wehrstrukturkommission(1) dem Verteidigungsminister vorzeitig ihre Vorstellungen über die künftige Bundeswehr vorlegen. Parallel erarbeitet der Generalinspekteur, Hans-Peter von Kirchbach, bis zu diesem Zeitpunkt ein eigenes Streitkräftekonzept. Schon jetzt ist Verteidigungsminister Scharping bemüht, in Kooperation mit der zivilen Wirtschaft die zu erwartenden Empfehlungen zum "outsourcing" von Dienstleistungen vorweg zu nehmen. Zwei Prämissen Scharpings werden bei alledem immer deutlicher: eine öffentliche Debatte über Auftrag und Umfang der künftigen Truppe soll es nicht geben, weil zweitens keine ernsthaften Einschnitte, etwa bei Wehrpflicht, Ausrüstung oder europäischen Militärstrukturen, beabsichtigt sind. Im Zentrum der Strukturreform steht die Kostensenkung des aufgeblähten Apparates Bundeswehr, um die frei werdenden Mittel für seine Effizienzsteigerung zu nutzen.

Rent a tank!

Bundeswehr-Teilprivatisierung soll Gelder für Waffenkäufe freisetzen

 
"Mich hat erstaunt, daß man über Monate hinweg über dieses Thema intensiv in Workshops mit den Teilstreitkräften, mit den Unternehmen und anderen reden konnte, ohne daß es darüber öffentliche Gerüchte gegeben hat. Das ist vielleicht auch ein ganz ermutigendes Zeichen."   Rudolf Scharping(2)

 

Statt eine mindestens seit zehn Jahren überfällige politische Diskussion über die Relevanz des Gewaltapparates Bundeswehr zu führen, ist unter Rudolf Scharping jeder Veränderungsgedanke bezüglich "seiner" Truppe ein Staatsgeheimnis. Vereinzelte Indiskretionen(3) sind unerwünscht. Arbeitsteilig ist die Wehrstrukturkommission für die öffentliche Legitimation der Bundeswehr, der Generalinspekter für die militärische Umgestaltung und die verstärkte Kooperation mit der Industrie für die Finanzierung von Rudolf Scharpings Wunsch, sich bei der Truppe beliebt zu machen, um sich so eine eigene Hausmacht zu schaffen.

Zwei Versuche unternahm einst Volker Rühe, die Finanzlage der Bundeswehr zu konsolidieren, um sich sonst nicht finanzierbare Wünsche zu erfüllen. Anfang der 90er Jahre sollte die "Arbeitsgruppe Lorenz Huber" nach Einsparungsmöglichkeiten in der Truppe suchen. Als der Brigadegeneral im Milliardenumfang fündig wurde, verschwanden seine Vorschläge in der Schublade, er selbst wurde in den Ruhestand geschickt. Sein Nachfolger Wolfgang Schikowski, "Sonderbeauftragter für Aufwandsbegrenzung und Rationalisierung", ist seit 1994 im Dienst - ein Indiz dafür, daß seine Vorschläge im Ministerium niemandem weh tun. Kein Wunder also, wenn der klamme Rudolf Scharping nach dem letzten Klagelied des vormaligen Generalinspekteurs Helmut Bagger(4), das Arbeitsgrundlage der Wehrstrukturkommission ist, nicht die Offiziere fragt, was er ihnen wegnehmen soll.(5) Ob er allerdings bei der Industrie auf ein gemeinsames Interesse hoffen kann, bleibt zweifelhaft.

Wird der Staat zum Söldner der Industrie?

Die Bundeswehr 2000 ist so neuartig nicht. Von den Vasallenheeren des Mittelalters, die jeweils zu einem Feldzug zusammengetrommelt wurden, unterscheiden sich Scharpings Mannen durch eine Kerntruppe an stehendem Heer. Die Ausrüstung aber ist in wachsendem Umfang geleast. Schließlich sind Truppe und Gerät nur totes Kapital, wenn sie solches nicht gerade im Einsatz produzieren. Am florierenden Söldnerwesen läßt sich studieren, wie erfolgreiche Schlachten kostengünstig mit nur kurzer "Aufwuchsphase" zu schlagen sind.(6) "Systemfähigkeit erhalten", nennt es die Industrie, wenn Ausbildungs-, Entwicklungs- und Lagerhaltungskosten den Zulieferern aufgebürdet werden.

Dazu gibt es mit der Rüstungsindustrie bereits konkrete Verträge. Nach einer ersten Vereinbarung vom Juli 1999 schlossen Bundeskanzler Schröder, Verteidigungsminister Scharping und 33 Konzernvertreter am 15. Dezember 1999 den Rahmenvertrag "Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr".(7) Ziel ist die Verkürzung von Entwicklungs- und Beschaffungszeiträumen von Waffensystemen durch größtmöglichen Einsatz ziviler Produkte, zivile Abrechnungsmodalitäten statt garantierter Preisabsprachen sowie die Auslagerung von Bundeswehrsektoren in die zivile Wirtschaft.

Die traditionelle Hauptabteilung Rüstung/HA Rü des BMVg und das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung/BWB(8) erhalten Konkurrenz: eine privatwirtschaftlich organisierte "Agentur für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb" des BMVg soll künftige Beschaffungswünsche prüfen und jeweils zweckmäßige Projektgesellschaften gründen.(9) Das mag die interne Effizienz steigern. Bei den ständig über 2.000 großen und kleinen Beschaffungsprogrammen der Bundeswehr werden zahllose Projektgesellschaften allerdings endgültig eine demokratische Kontrolle unmöglich machen. Damit dienen diese Projektgesellschaften auch einem künftig erleichterten europaweiten Rüstungsexport, den der Bundestag im März beschließen soll.(10)

In 14 vereinbarten Pilotmaßnahmen sollen "nicht militärische Kernfähigkeiten" in Friedenszeiten von der zivilen Wirtschaft übernommen werden:

Gewaltverschiebung ohne Legitimation

Auf materiellem Gebiet ist der Bedeutungszuwachs der Industrie unübersehbar. Das dahinter stehende Eingeständnis der miserablen Effizienz der Bundeswehr wäre nicht nur ein Fall für den Bundesrechnungshof. Dieser technokratische Reformansatz Scharpings verschiebt allerdings nur das grundlegende Strukturproblem der Bundeswehr, den überhöhten Personalstand, ans Ende seiner Amtszeit. Was auf den ersten Blick ein prima Geschäft für die Industrie ist, Verwaltung von tausenden Liegenschaften, Kooperationspartner nur bei neuen Waffensystemen, Großkunde im EDV- und Telekommunikationssektor, könnte sich für die Bundeswehr bald als Problem erweisen. Was passiert, wenn sich Rudolf Scharping nicht mit DaimlerChrysler über die Nutzungskosten des modernsten Panzerschießplatzes der Welt in der Colbitz-Letzlinger Heide einigen kann?(13) Ob die erwarteten Kosteneinsparungen durch ziviles Management an den Kunden Bundeswehr weitergegeben werden, ob also das "Outsourcing" die Bundeswehr wirklich billiger macht, ist ungewiß.

Natürlich haben eine Vielzahl von Bundeswehraufgaben keinen hoheitlichen Charakter und leichtsinnige Generäle fahren bereits heute in ungetarnten Limousinen zum Dinner. Doch hinter der Privatisierungsoffensive steht die Frage: Wer ist in Globalisierungszeiten wessen Dienstleister, wer der Leiharbeiter? Zugespitzt: Bedient sich der Staat der Industrie oder least sich die Industrie längerfristig das Bedienungspersonal für eigene Kampfjets, Munition und Flotten beim Militär? Mehrfach ist in dem Rahmenabkommen von der Überlassung eingesparter Ressourcen an Dritte die Rede. Wie sicher wird die Republik, wenn künftig UPS Brötchen und Bomben liefert? Warum sollte der Eurofighter-Simulator am Wochenende nicht Pfadfindern zur Verfügung stehen, gäbe es nicht eine Buchungslücke für einen ADAC-Kurs auf dem Truppenübungsplatz? Kurz, wer das Kriegsgerät der Ökonomie unterwirft, fragt nicht nach der Absicht des Kunden.

Der schlanke Staat liegt zwar in allen Sektoren im Trend. Im Bereich von Exekutive und Gewaltmonopol stellt sich allerdings die Frage, ab welchem Delegationsgrad die hoheitliche Legitimation von Waffengewalt - und damit von Staatlichkeit schlechthin - gefährdet wird. Die Waffen allein sind weder hoheitlich noch geheim. Hoheitlich ist "bestenfalls" die Legitimation zum Töten. Doch eben dieser Legitimationsfrage, einer demokratischen Definition von Auftrag und Struktur der Bundeswehr, stellt sich Rudolf Scharpings technokratische Hinterzimmer-Reform nicht. Sie ist lediglich die Fortsetzung des altbekannten "Durchwurstelns" mit anderen, mit gefährlicheren Mitteln. sg

Anmerkungen
(1) Zu Zusammensetzung, Auftrag, Terminen etc. der Wehrstrukturkommission siehe ami 8-9/99, S. 5ff.
(2) Rudolf Scharping in seiner Würdigungsrade der Outsourcing-Verträge mit der deutschen Industrie vom 15.12.99, http://www.bundeswehr.de/presse/reden_rahmenv.html, S. 3.
(3) Beispielsweise sprach sich das Mitglied der Wehrstrukturkommission, General a.D. Helge Hansen, in seinem neuesten Buch "Wehrpflicht auf dem Prüfstand" für die Aussetzung der Wehrpflicht aus, FR 27.12.99.
(4) BMVg: Bestandsaufnahme. Die Bundeswehr an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Bonn 3.5.1999.
(5) Die Interessen des BMVg kamen bereits dadurch zur Geltung, daß die Wehrstrukturkommission ihre Inventur auf Interviews mit der Leitungsebene von Stäben und Abteilungen des BMVg stützte.
(6) Siehe hierzu ami 1-2/98, S. 26ff.
(7) http://www.bundeswehr.de/presse/mitteilungen/rahmenvertrag.html, unterzeichnet mit folgenden Unternehmen: ABB Gebäudetechnik AG [Energie, Elektronik], Abeking & Rasmussen GmbH & Co [Werft], Alcatel SEL AG [Elektronik, Telekommunikation], Blohm + Voss GmbH [Werft], BMW Rolls Royce GmbH [Triebwerke], CSC Ploenzke AG, DaimlerChrysler Aerospace AG [Luftfahrt, Lenkwaffen, Elektronik], DaimlerChrysler Services (debis) AG [Dienstleistungen], Deutsche Bank AG, Deutsche Telecom AG, Diehl Stiftung & Co [Munition, Heereswaffen, Elektronik], Dr. Sasse AG, Dr. Seebauer & Partner GmbH Management Consulting Group & Co KG, ESG Elektrosystem- und Logistik GmbH, Friedrich Lürssen Werft GmbH & Co, Gegenbauer & Co KG, Hewlett Packard GmbH [Informationssysteme], Howaldtswerke Deutsche Werft AG, KPMG Prüfungs- und Beratungsgesellschaft für den öffentlichen Sektor AG, Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co KG [Panzer], Kühne & Nagel AG & Co [Spedition], Liebherr-Aerospace Lindenberg GmbH, MAN AG, Mc Kinsey & Company Inc. [Betriebsberatung], Microsoft GmbH, Renk AG [Antriebssysteme, Elektronik], Rheinmetall De Tec AG [Panzer, Munition], Rohde & Schwarz GmbH & Co KG [Elektronik, Informationssysteme], SAP AG [Software], Serco GmbH & Co KG, Siemens AG, Thyssen Nordseewerke GmbH [Werft], Volkswagen AG.
(8) Zur bisherigen Rüstungsbeschaffung siehe ami 3/97, S. 22ff. 
(9) Unbeirrt dementiert Rudolf Scharping allerdings die logische Konsequenz eines bevorstehenden Stellenabbaus im BWB, FR 19.12.99.
(10) Nachdem im Juni 1999 eine EU-Harmonisierung für Dual-Use-Waffenexporte beschlossen worden ist (96. Änderung der Ausfuhrliste zum Außenwirtschaftsgesetz, BT-Drs. 14/1414), wollen Deutschland, Italien, Schweden, Frankreich, Großbritannien und Spanien nun auch eine vereinfachte "Harmonisierung" der Exporte von Kriegswaffen beschließen. Im Kern soll mit einem Projektträger eines Rüstungsprogrammes zugleich auch pauschal der Kreis möglicher Importeure festgelegt werden. Siehe hierzu: Letter of Intend between 6 Defense Ministers on measures to faciliate the Restructuring of the European Defense Industry, London 6.7.1998, in: http://www.sipri.se/expcon/loi/loisign.htm
(11) ami 5/99, S. 5ff.
(12) Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr - Rahmenvertrag vom 15.12.1999, http://www.bundeswehr.de/presse/mitteilungen/rahmenvertrag.html
(13) Nachdem das BMVg 1,2 Mrd. DM Steuergelder in den anhaltinischen Sand gesetzt hatte, kündigte Rudolf Scharping den Vertrag über die Nutzung des bisherigen 40.000ha-Panzerübungsplatzes Shilo/Kanada, FR 13.12.1999.
 

Home * Bestellformular * mailto:redaktion@antimilitarismus-information.de * Homepage-Suche * Jahrgänge