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Ausgabe 1/00   Seite 13ff

Am 19. Dezember 1999 fand im Berliner Mehringhof, in dem rund 35 alternative Projekte arbeiten, eine Großrazzia statt. Anlaß war die Suche nach Sprengstoff und Waffen im Zusammenhang mit Anschlägen der "Revolutionären Zellen" aus den achtziger und den frühen neunziger Jahren. Gleichzeitig wurden in Berlin und Frankfurt/M. drei Personen unter dem Verdacht festgenommen, Mitglieder der RZ (gewesen) zu sein.

Auf der Suche nach den Revolutionären Zellen

Oder: Von der Inszenierung einer Bedrohung

Der Polizeieinsatz

Der Berliner Mehringhof, ein Fabrikgebäude in der Gneisenaustraße im Bezirk Kreuzberg, ist seit 1979 ein Ort für verschiedene alternative Projekte.(1) Seitdem fanden immer wieder auch Polizeieinsätze und Durchsuchungen im Mehringhof statt, da dieser als Treffpunkt linker Gruppen gilt. Am 19. Dezember war es wieder so weit. Rund 1.000 Polizeibeamte der Bundesanwaltschaft (BAW), des Bundeskriminalamtes (BKA), der Berliner Polizei und des Bundesgrenzschutzes (BGS) einschließlich der Spezialeinheit GSG 9(2) rückten um sechs Uhr morgens in den Mehringhof ein. Laut Durchsuchungsbefehl sollten Waffen und Sprengstoff im Zusammenhang mit Anschlägen der Revolutionären Zellen gesucht werden. Die Räume aller 35 Projekte sowie das Treppenhaus und die Aufzugsschächte wurden durchsucht. Dabei wurden auch Fußböden und Wandverkleidungen aufgerissen.(3) Nach dem Einsatz ergab sich ein Bild der Verwüstung: kaputte Wände, umgeworfene Maschinen, zerfetzte Theaterpuppen und zersplitterte Holztüren. Der Sachschaden beläuft sich nach ersten Schätzungen auf weit über 100.000 DM.(4) Gefunden wurden nach Angaben der bei diesem Einsatz federführenden BAW aber weder Sprengstoff noch Waffen, sondern lediglich "einiges Schriftmaterial".(5)

Bei der Razzia sah sich eine Gruppe von 20 Partygästen, die von einer bolivianischen Solifete am Samstag Abend übrig geblieben war, plötzlich den schwarzvermummten "Terroristenjägern" der GSG 9 gegenüber. Die müden Partybesucher wurden mehrere Stunden festgehalten. Bei der Gelegenheit wurden sie gleich auf ausländerrechtliche Vergehen überprüft.(6) Beobachter waren bei dem Einsatz nicht erwünscht. Die Fraktionsvorsitzende der PDS in Kreuzberg, Barbara Seid, sowie Pressevertreter bemühten sich vergeblich um den Zutritt zum Mehringhof.(7) Im Laufe des Nachmittags versammelten sich rund hundert Demonstranten zu einer Spontandemonstration vor dem Mehringhof. Dabei kam es zu Rangeleien mit der Polizei und zu zwei Festnahmen.(8)

Zeitgleich zur Razzia wurden der Hausmeister des Mehringhofes Axel H. und der Mitarbeiter der Forschungsstelle Flucht und Migration Harald G. in ihren Wohnungen in Berlin sowie Sabine Barbara E. in Frankfurt am Main festgenommen und in Karlsruhe dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes vorgeführt. Ihnen wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach §129a Strafgesetzbuch (StGB) und die Beteiligung an Anschlägen der RZ vorgeworfen.

Die Revolutionären Zellen

Die Revolutionären Zellen entstanden 1973 aus dem autonomen militanten Spektrum heraus und waren ein Zusammenschluß unabhängig voneinander agierender Gruppen (Zellen). Seit 1976 fungierten diese Gruppen unter dem Namen "Revolutionäre Zellen", wenig später entstand der feministische Flügel "Rote Zora". Laut BAW bekannten sich die Revolutionären Zellen/Rote Zora (RZ) zu 186 Anschägen, 40 davon in Berlin. Sie begründeten ihre militanten Aktionen und Sprengstoffanschläge u.a. mit dem Kampf gegen staatlichen Rassismus, Sexismus und das Patriarchat. Dabei grenzten sie sich von der "Roten Armee Fraktion" (RAF) und der "Bewegung 2. Juni" ab, indem sie sich gegen gezielte Angriffe auf Menschenleben aussprachen. Allerdings verübten die RZ sogenannte Knieschussaktionen gegen Amtsträger und Politiker. 1981 war der hessische Wirtschaftsminister Herbert Karry bei einer solchen Knieschussaktion getötet worden. 1986 schossen die RZ dem Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, und 1987 dem Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, jeweils in die Kniescheibe. 1992 haben zahlreiche Zellen ihre Auflösung bekanntgeben. Die letzen Anschläge fanden im Oktober 1993 statt, als ein Trafohäuschen des Bundesgrenzschutzes in Frankfurt als Protest gegen das neue Asylrecht in die Luft gesprengt wurde (Revolutionäre Zellen) bzw. im Juli 1995 in Lernwerder gegen die Lüssen Werft (Rote Zora). Seitdem ist nichts mehr von einer möglichen Weiterexistenz oder von Aktivitäten bekannt.(9)

Harald G. und Sabine Barbara E. wird der Sprengstoffanschlag der RZ auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber in Berlin im Februar 1987 zur Last gelegt. Die beiden sollen außerdem laut BAW an den oben erwähnten Anschlag auf Günter Korbmacher im September 1987, Sabine Barbara E. zusätzlich an dem Anschlag auf Harald Hollenberg im Oktober 1986 beteiligt gewesen sein.(10) Die Anschläge auf Korbmacher und Hollenberg können den beiden, unabhängig davon ob sie beteiligt waren, nicht zu Last gelegt werden, da sie als schwere Körperverletzung bereits nach fünf Jahren verjährt sind. Nicht verjährt ist dagegen der Verdacht auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Eine Schuld nach §129a verjährt erst nach zehn Jahren. Die drei Beschuldigten erhielten wegen der "Schwere der Anschuldigungen" keine Haftverschonung und bleiben bis auf weiteres in Untersuchungshaft.(11)

Stein des Anstoßes: Die Kronzeugenregelung

Die Haftbefehle gegen die drei genannten Personen und der Durchsuchungsbefehl gegen den Mehringhof stehen im Zusammenhang mit zwei weiteren Festnahmen in den letzten Monaten. Im Oktober 1999 waren Rudolf S., der Lebensgefährte von Sabine Barbara E., und im November Tarek M. unter dem Vorwurf, Mitglieder der Revolutionären Zellen zu sein, festgenommen worden. Die Anwältin von Harald G., Silke Stugzinski, bestätigte den Verdacht, daß die Haftbefehle aufgrund der Aussagen von Tarek M. erfolgten. Dieser behauptete auch, daß sich ein Sprengstoff- und Waffendepot der RZ im Mehringhof befinde, das der Hausmeister Axel H. betreut haben soll und lieferte damit den Grund für den Durchsuchungsbefehl.(12) Laut BAW hatten unbekannte RZ-Mitglieder 1987 in Niedersachsen 100 Kilogramm Sprengstoff gestohlen. Ein Teil des Sprengstoffs soll bei einem Anschlag der RZ auf die Berliner Siegessäule verwandt worden sein. Ein weiterer Teil gilt seit 1987 als verschwunden und wurde nun aufgrund der Aussagen von Tarek M. im Mehringhof vermutet.(13)

Die Beschuldigungen von Tarek M. stehen nach der Einschätzung Stugzinskis im Zusammenhang mit der zum Ende des Jahres 1999 ausgelaufenen Kronzeugenregelung.(14) Die Kronzeugenregelung war ein Element der Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität, das Angeklagten, die z.B. der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beschuldigt wurden, Strafmilderung, Strafminderung oder sogar Amnestie versprach, wenn sie mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten und Mitangeklagte oder andere Personen denunzieren. Die rot-grüne Mehrheit im Bundestag beschloß am 3. Dezember 1999 gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP die Kronzeugenregelung zum Jahresende auslaufen zu lassen.(15) Die Aussagen von Tarek M. kamen also für diesen gerade noch rechtzeitig, um die Kronzeugenregelung in Anspruch zu nehmen.

Terrorbekämpfung ohne Terroristen

Die Strukturen und Institutionen der Terrorbekämpfung haben sich seit den siebziger und achtziger Jahren nicht verändert, obwohl es in Deutschland seit mehreren Jahren keine terroristischen Aktivitäten mehr gibt. Die Rote Armee Fraktion (RAF) hat 1998 ihre Auflösung bekanntgegeben und ihr letzter Anschlag liegt sieben Jahre zurück. Auch die jetzt wieder ins Visier genommen Revolutionären Zellen haben sich aufgelöst bzw. sind seit fünf Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten. Trotzdem wurden weder die mit der Terrorismusgefahr legitimierte Aufrüstung des Polizeiapparates(16), noch die damals entstanden Antiterrorgesetze wie der §129a, das Kontaktsperregesetz(17) und die Möglichkeit des Verteidigerausschlusses(18) zurückgenommen. Auch unter der rot-grünen Regierung erfolgte kein Abbau des Polizeiapparates und keine Abschaffung der Antiterrorgesetze, wie es Bürgerrechtler und auch die Grünen immer wieder gefordert hatten. Die erhöhte Polizeipotenz und die erweiterten Gesetzesbefugnisse stehen dem Staat auf diese Weise weiterhin zur Verfügung, wenn nicht gegen Terroristen, so doch potentiell zur Abwehr anderer unliebsamer Bürger.

Insbesondere der jetzt auch wieder angewandte Gesinnungsparagraph 129a ist ein staatliches Machtmittel zur Zähmung Andersdenkender. Nach §129a wird die Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren geahndet (Abs. 1), aber auch die bloße Unterstützung oder das Werben für eine solche mit Haftstrafen von sechs Monate bis fünf Jahre bedroht (Abs. 2). Eine konkrete Tat muß bei einer Mitgliedschaft dann gar nicht mehr nachgewiesen werden. Als Unterstützung wird jedes Handeln gewertet, daß den Mitgliedern einer terroristischen Vereinigung irgendeinen Vorteil verschaffen könnte, z.B. die Versorgung mit Essen oder das Verleihen der Wohnung. Unter Werbung fällt jede offene oder verdeckte Propagandatätigkeit, ohne daß sie zu einen nachweisbaren Erfolg führen muß, nach manchen Gerichtsurteilen auch schon die bloße Sympathiebekundung.(19) Bei Fällen, in denen §129a relevant ist, gibt es erweiterte Befugnisse für Polizeiapparat und Justiz, die ansonsten undenkbar sind. Dazu gehören u.a.:

Fazit

Wären nach dem Ende des Terrorismus auch die Anti-Terror-Gesetze einschließlich §129a aufgehoben worden, wie von den Grünen und einigen Restliberalen (außerhalb der FDP) gefordert wird, hätten die aktuellen Verhaftungen und die Großrazzia im Mehringhof keine Rechtsgrundlage, da die Anschläge aus den achtziger Jahren bereits verjährt sind.

Die Dimension des Polizei-/GSG 9-Einsatzes steht in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen Gefahr, die bspw. durch Mitglieder der RZ ausgeht. Selbst die Bundesanwaltschaft mußte zugeben, daß es keine Erkenntnisse gebe, ob die Organisation heute noch aktiv sei oder Anschläge plane und daß es bei den Verhaftungen und der Großrazzia lediglich um die Aufklärung von Altfällen gehe.(21) Vielmehr wird eine "Terrorismusgefahr durch den immensen Aufwand und der militärischen Dimension der Polizeiaktion erst inszeniert. Die auf diese Weise inszenierte Gefahr wiederum soll den überdimensionalen Polizeieinsatz im besonderen und die sich selbst erhaltenden Antiterrorismusstrukturen und -institutionen im allgemeinen legitimieren. Kriminalisiert wurde durch diese Aktion auch das Projekt des Mehringhofes als Ganzes. Als Treffpunkt linker Gruppen ist er dem Staatsschutz schon immer ein Dorn im Auge gewesen. tw

Anmerkungen
(1) Der Mehringhof beherbergt u.a. die Forschungsstelle Flucht und Migration, die sich durch kritische Forschung, Dokumentation und Publikationen zur europäischen Flüchtlingspolitik auszeichnet, das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile/Lateinamerika (FDCL), die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft für Umwelt und Entwicklung, eine Schule für Erwachsenenbildung, ein Puppentheater, eine Fahrradreparaturwerkstatt, die Szenekneipe "EX" und den Buchladen "Schwarze Risse".
(2) Die GSG 9 ist eine paramilitärische Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes von ca. 200 Mann, die zur Terrorismusbekämpfung gegründet wurde. Vgl.: ami 3/97, S.38ff.; Bürgerrechte und Polizei/CILIP Nr. 47 "Die Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9)", S. 47ff.
(3) taz, 20.12.99
(4) taz, 21.12.99
(5) Ebd.
(6) Der Tagesspiegel, 20.12.99
(7) Ebd.
(8) taz, 20.12.99
(9) Daten zu den RZ aus: taz, 21.12.99; Der Tagesspiegel, 21.12.99
(10) taz, 20.12.99
(11) taz, 21.12.99
(12) Ebd.
(13) Ebd.
(14) Ebd.
(15) FR, 4.12.99
(16) Vgl.: ami 3/97, S.34ff.
(17) Das Kontaktsperregesetz regelt die Möglichkeit der Isolationshaft und des Kontaktverbots mit Angehörigen und Anwälten für alle nach §129a Inhaftierten, gleichgültig ob diese verurteilt sind oder nur verdächtigt werden, in Situationen kollektiven Hungerstreiks oder terroristischen Aktionen von Gesinnungsgenossen. Vgl. dazu: Enno Brand, Staatsgewalt, Göttingen 1988, S. 40
(18) Demnach kann ein Verteidiger vom Verfahren ausgeschlossen werden, wenn er verdächtigt wird, an einer Straftat nach §129a beteiligt zu sein (§ 138a StPO). Außerdem ist die gemeinschaftliche Verteidigung mehrerer derselben Tat Beschuldigter nicht gestattet (§146 StPO). Vgl.: Brand, a.a.O., S.40
(19) Vgl.: Brand, a.a.O., S.36
(20) Vgl.: Ebd., S.38ff.
(21) Der Tagesspiegel, 21.12.99
 

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