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Ausgabe 7/99 Themenheft: Kosovo-Krieg   Seite 72ff

Die NATO ist die mächtigste Militärallianz der Welt, dennoch dauerte ihr Luftkrieg gegen das kleine Jugoslawien elf Wochen. Es war das erste Mal, daß in einem bewaffneten Konflikt die Kriegsziele allein durch Luftangriffe erreicht werden konnten. Allerdings hatte die Republik Jugoslawien nie eine Chance, den Krieg militärisch zu gewinnen. So hing die jugoslawische Niederlage allein davon ab, wieviel der serbische Präsident Slobodan Milosevic seinem Volk an Opfern und Entbehrungen zumuten wollte. Andererseits verlief die NATO-Luftoperation keineswegs so reibungslos, wie es sich die Militärstrategen des Bündnisses erhofft hatten. Der - so betrachtet - "lausige" Kriegsverlauf stand im offenen Widerspruch zu dem, was mit dem Begriff "moderne Kriegführung" suggeriert werden soll. Daran konnten auch die neuesten High Tech-Waffen nichts ändern. Nach tausenden von Opfern und der Verwüstung des Landes lautete die Bilanz am Ende wieder einmal: Krieg ist eben Krieg.

Gerd Pieper

Der Waffeneinsatz im Kosovo-Krieg

I. Das jugoslawische Arsenal

Schon der alte jugoslawische Einheitsstaat war in den achtziger Jahren kein reiches Land, das sich modernste Waffensysteme hätte leisten können. Heute ist die jugoslawische Republik bloß noch ein auf Serbien und Montenegro reduzierter Rest, der sich durch drei (Bürger-) Kriege selbst in die Isolation gedrängt hat. Ein internationales Waffenembargo hat Jugoslawien seit fast zehn Jahren von der modernen Waffentechnologie abgeschnitten. Ein Blick auf das serbische Waffenarsenal macht dies deutlich: Die modernsten Waffen des Heeres, die Kampfpanzer T-72, wurden in den siebziger Jahren gefertigt; die ältesten Modelle T-34 stammen noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Luftwaffe verfügt vor allem über das Kampfflugzeug Mig-21 Fishbed, das in den sechziger Jahren das sowjetische Gegenstück zum amerikanischen Starfighter war.

Der modernste Typ der serbischen Luftwaffe ist die Mig-29 Fulcrum. Dieses Luftüberlegenheitsjagdflugzeug machte durch seine unglaubliche Manovrierfähigkeit Schlagzeilen, allerdings war dies noch vor dem Ende des Kalten Krieges. Der jugoslawische Bestand betrug bei Kriegsbeginn nur 17 Stück, von denen mehrere, wenn nicht alle Exemplare zerstört wurden. Die Abwehreinsätze der Fulcrums gegen die Jagdbomber (Jabos) der NATO zu Kriegsbeginn waren der einzige Versuch der jugoslawischen Regierung, von ihrer Luftwaffe irgendeinen Gebrauch zu machen, auch wenn diese Jäger keinen einzigen NATO-Jet abschießen konnten. Was übrig blieb war ein Luftkrieg ohne Luftkämpfe.

So blieben die Kampfflugzeuge der jugoslawischen Luftwaffe auf ihren Fliegerhorsten festgenagelt, wo sie zur Schießscheibe für die NATO-Jets wurden. Zur militärischen Verteidigung blieben den Jugoslawen nur die Raketen und Kanonen ihrer bodengestützten Luftabwehr. Häufig müssen über hundert Raketen abfeuert werden, um ein einziges gegnerisches Flugzeug tatsächlich abzuschießen, wie die Erfahrungen aus vergangenen Kriegen (Vietnam, Nahost) zeigten. Angeblich soll die russische Regierung in den vergangenen Jahren trotz des internationalen Embargos modernste Flugabwehrraketen (FlaRak) nach Belgrad geliefert haben. Wenn es diese Waffenverkäufe wirklich gegeben hat, dann hatten sie auf den Kriegsverlauf keinen Einfluß.

Es waren aber gar nicht mal die großen FlaRak, die den NATO-Planern Kopfschmerzen bereiteten. Diese hatten zwar eine große Reichweite, aber ihre Stellungen waren bekannt oder sie ließen sich aufklären. Aber gerade die kleinen Raketen mit begrenzter Reichweite wie die SA-7 Grail, die ein einzelner Soldat von der Schulter abfeuern kann, wurden als gefährlich eingeschätzt. Mit diesem Waffensystem sind alle möglichen Einheiten der jugoslawischen Luftwaffe und des Heeres ausgestattet, und man kann nicht feststellen, wo sich solche Truppenteile gerade befinden. Einmal abgefeuert, hat ein Pilot kaum eine Abwehrchance gegen solch eine Minirakete. So mußten die alliierten Flugzeugführer ständig aus größerer Höhe (rund 5000 Meter) operieren. Damit befanden sie sich zwar außerhalb der Reichweite der Grail, konnten aus dieser Höhe aber Zielobjekte am Boden visuell nur bedingt ausmachen.

Zwar ist nicht bekannt, wie viele FlaRak in diesem Krieg verschossen wurden, aber die "Erfolgsbilanz" ist eher "bescheiden". Nach bisher vorliegenden Informationen verlor die NATO fünf Flugzeuge, drei Hubschrauber und fünfzehn unbemannte Drohnen.(1) Allerdings waren die Abstürze häufig nicht die Folge von feindlichem Beschuß, sondern das Resultat technischer Probleme. Nur eines der Flugzeuge, eine amerikanische F-117A Nighthawk, wurde wahrscheinlich durch eine jugoslawische SA-6 Gainful Rakete abgeschossen. Es war das erste Mal, daß einer dieser Jabos getroffen wurde. Damit endete zugleich der Technikmythos um diese modernen Tarnkappenbomber (Stealthflugzeuge). Man darf vermuten, daß sich die russische Militärspionage sehr für die Wrackteile interessiert haben dürfte.

Da die unbemannten Drohnen meist nur in geringer Höhe mit einer relativ langsamen Geschwindigkeit fliegen, sind sie trotz ihrer geringen Größe ein relativ leichtes Ziel. Daß auf Seiten der Alliierten nicht weniger als acht CL-289 abstürzten, ist allerdings schon überraschend. Nachdem die Franzosen ein Exemplar und die Bundeswehr gleich sieben ihrer Flugkörper verloren hatte, blieb nichts anderes übrig, als diese Aufklärungsflüge einfach einzustellen. Nicht überraschen konnten die Abstürze der amerikanischen Hunter-Drohnen. Nachdem mehrere Prototypen bei Testflügen vor mehreren Jahren abgestürzt waren, stellten die US-Streitkräfte das ganze Projekt ein. Nur die schon vorhandenen Exemplare wurden einfach in einer Einheit zusammengefaßt und nun eingesetzt. Einige dieser Drohnen stürzten ab, denn Waffensysteme, die schon in Friedenszeiten nicht funktionieren, können erst recht nicht unter Kriegsbedingungen einwandfrei "arbeiten". Daß sie dennoch bewußt eingesetzt wurden, mutet abenteuerlich an, denn dadurch wurden eigene Soldaten und die Zivilbevölkerung gefährdet.

Die jugoslawische Marine wurde im Konflikt erwartungsgemäß nicht eingesetzt. Als der jugoslawische Einheitsstaat noch existierte, stellten die Serben rund 80 Prozent der Offiziere und hatten daher in den Streitkräften das Sagen. Dies führte dazu, daß beim Zerfall Jugoslawiens die Serben den Großteil der Waffensysteme unter ihre Kontrolle bekamen - so auch die Kriegsschiffe der Marine. Im Gegensatz zu Slowenien, Kroatien und Bosnien hat Serbien aber keine Küste und folglich auch keine Beziehung zur Seefahrt. Das Ergebnis läßt sich einfach beschreiben: Die Serben haben die Kriegsschiffe, aber die Matrosen haben die anderen. Seit zehn Jahren ist die jugoslawische Marine nicht mehr einsatzbereit und verrostet statt dessen in einem montenegrinischen Hafenbecken.

II. Die NATO

Die Kriegsflugzeuge der Kriegsallianz

Die jugoslawischen Streitkräfte waren somit kein militärischer Gegner, der einem Kräftevergleich mit der NATO hätte standhalten können. Dennoch mußten die NATO-Luftstreitkräfte im Rahmen der Operation ALLIED FORCE gemäß dem Operationsplan OPLAN 10601 nicht weniger als 35.000 Einsätze fliegen, bei denen sie rund 20.000 Bomben und Raketen einsetzen, um den Krieg "siegreich" zu beenden. Die Zahl der eingesetzten Militärflugzeuge stieg von 420 auf fast 1.259 Stück, von denen die USA knapp tausend Maschinen stellten. Damit kam fast das ganze Spektrum modernster Luftwaffenrüstung zum Einsatz. Die Operationsplanung ist bei der Luftkriegführung im wesentlichen reduziert auf die Fragen, welche Ziele mit welcher Munition zerstört werden können, welches Kampfflugzeug mit solchen Waffen ausgerüstet werden kann und welche Flugrouten die Maschinen bei ihrem Offensiveinsatz einhalten müssen. Grundlage der Operationsplanung sind die Aufklärungsergebnisse. Vor den Angriffen müssen die Ziele ausgewählt und ihre baulichen Merkmale erfaßt werden, nach einer Bombardierung muß das erreichte Schadensmaß festgestellt werden (bomb damage assessment), um eventuell eine zweite Attacke gegen dasselbe Objekt anzuordnen.

Da die USA die Masse des Kriegsgerätes bereitstellten, beanspruchten sie damit auch einen prägenden Einfluß auf die gesamte Kriegsplanung. Diese fand daher nicht nur im NATO-Hauptquartier SHAPE im belgischen Mons und bei dessen nachgeordnetem Kommandobereich AFSOUTH (Allied Forces Southern Europe) in Neapel statt, sondern vor allem auch im Pentagon und beim Hauptquartier des US European Command in Stuttgart. Auf dem Kriegsschauplatz wurden diese Stäbe unterstützt von fliegenden Befehlszentralen wie den E-3 Sentry AWACS-Flugzeugen der NATO oder den amerikanischen E-130 ABCC, die die gesamten Flugbewegungen von hunderten eingesetzter Militärmaschinen vor Ort überwachten, um Zusammenstöße zu vermeiden und den Funkverkehr zu kontrollieren.

Um ihre Vormachtstellung bei der Operationsplanung durchzusetzen, nutzten die USA ihr Informationsmonopol weidlich aus. Schließlich stellten sie nicht nur die meisten Kampfflugzeuge, sondern auch die meisten Aufklärungssysteme. Zum Einsatz kam die ganze Palette von Spionagesystemen: Die US-Aufklärungssatelliten KH-11+ Keyhole und Lacrosse gehörten zu den mindestens fünfzig Militärsatelliten von 15 verschiedenen Typen, die im Jugoslawienkrieg der Aufklärung, Wettervorhersage, Befehlsübermittlung und Navigation dienten.(2) Sie wurden durch amerikanische Spionageflugzeuge E-8 JSTARS und U-2 ergänzt. Diese Spionagesysteme sind heutzutage über digitale Datenbrücken mit ihren Steuerungszentralen verbunden und übermitteln ihre Erkenntnisse in Echtzeit - also quasi "life" - an die Generalstäbe, die dann die gewonnenen Information nutzen, um umgehend einen Waffeneinsatz anzuordnen. Im Rahmen der sogenannten "Revolution in Military Affairs" (RMA) wollen die USA dieses höchst effektive Zusammenwirken ausbauen, um bei der zukünftigen Kriegführung im 21. Jahrhundert daraus taktische Vorteile zu ziehen. Im Jugoslawienkrieg konnten die USA ihr Monopol im Bereich der Aufklärungs- und Kommandosysteme (C3IS) ausnutzen, weil schon heute die Europäer den Amerikanern technologisch um Jahrzehnte hinterher hinken.

Um die einmal ausgemachten und festgelegten Ziele anzugreifen, wurden das gesamte Spektrum an Kampfflugzeugen aufgeboten. Die riesigen Bomber, die große Raketen- oder Bombenlasten über tausende von Kilometern transportieren und anwenden können, waren gleich durch alle amerikanischen Typen präsent: Neben den alten B-52H Stratofortress aus den fünfziger Jahren und den Schwenkflüglern B-1 Lancer wurden erstmals auch die Stealth-Bomber B-2 Spirit eingesetzt. Diese Bomber flogen von ihrer Basis in den USA (Whiteman AFB) nonstop nach Jugoslawien, um dort ihre Bomben abzuwerfen und um ohne Zwischenlandung gleich zu ihren Heimatstützpunkt zurückzukehren: Interkontinentaler Luftkrieg unter strengster Geheimhaltung. Die Kosten eines einzelnen Transatlantikfluges werden auf über 1 Million US-$ geschätzt.(3)

Ergänzt wurden die Bomber durch die kleineren aber wendigeren US-Jagdbomber, die schon aus anderen Kriegen der letzten zwanzig Jahre bekannt sind: Die US-Air Force war mit ihren F-15 Eagle und F-16 Fighting Falcon vertreten, die US-Naval Aviation mit den F-14 Tomcat und F-18 Hornet. Neben diesen Jabos für Bomben und Raketenangriffe wurden auch Schlachtflugzeuge AC-130U Spectre und Panzerbekämpfungsmaschinen A-10 Thunderbolt II aufgeboten. Die Schlachtflugzeuge sind mit großen Artilleriekanonen bis zu einem Kaliber von 105 mm ausgerüstet, die Panzerabwehrflugzeuge haben 30 mm Revolverkanonen, die blitzschnell ganze Granatensalven verschießen.

Damit diese verschiedenen Kampfflugzeuge überhaupt durch die gegnerische Luftabwehr zu ihren Zielen gelangen konnten, hielten ihnen Spezialflugzeuge den Weg "frei". Zur Niederhaltung der gegnerischen Luftverteidigung (Suppression of Enemy Air Defence - SEAD) diente die F-16 CJ, eine Abart den Jagdbombers F-16. Wenn dies nicht durch elektronische Störmanöver erreicht werden konnte, feuerten sie Raketen gegen die gegnerischen Radaranlagen ab. Dabei wurden sie von deutschen Tornados ECR, die über 100 HARM-Raketen abschossen, unterstützt.(4)

Zu den verschiedenen Spezialflugzeugen zählten die E-130E Commando Solo, die in Ramstein stationiert waren. Auch diese verschossen ihre "Munition": Im Rahmen der psychologischen Kriegführung wurden von diesen Flugzeugen mindestens 18 Millionen Flugblätter abgeworfen, die die jugoslawischen Soldaten zum Desertieren aufforderten.

Gravitationsbomben

Durch die oben genannten Flugzeuge wurde eine umfangreiche Palette verschiedenster Munition eingesetzt. Einfache Bomben werden einfach aus dem Bombenschacht des Bombers ausgeklinkt und fallen dann gemäß der Erdanziehungskraft herunter, wobei sie durch ihre Massenträgheit noch ein Stück in Flugrichtung weiter sausen. Man nennt diese ungelenkten Bomben daher auch Gravitationsbomben. Sie sind zu ungenau, um kleine Ziele zu treffen. Daher müßten viele Bomben eingesetzt werden, um solch ein Punktziel zu zerstören, während gleichzeitig bei einem Angriff die Umgebung unnötig in Mitleidenschaft gezogen werden würde. Im Vietnamkrieg sprach man in diesem Zusammenhang von Teppichbombardierungen (carpet bombings), bei denen ganze Landstriche verwüstet wurden. Um Kosten zu sparen und die "Effektivität" von Luftangriffen zu erhöhen, hat man verschiedene Präzisionswaffen entwickelt. Dennoch kamen die alten Gravitationsbomben auch gegen Ende des Jugoslawienkrieges wieder zum Einsatz, u.a. weil die Bestände an Präzisionswaffen zur Neige gingen. Die B-52-Bomber bombardierten mit alten Mk82 Bomben serbische Stellungen.(5)

Präzisionswaffen

Die ersten Präzisionsbomben, die sogenannten "Homing Bomb Systems" (Hobos), wurden bereits im Vietnamkrieg getestet. Sind Präzisionswaffen antriebslos, handelt es sich um Präzisionsbomben, verfügen sie über einen eigenen Antrieb, sind es Luft-Boden-Raketen oder Cruise Missiles. So könnte man eine amerikanische GBU-15 Bombe in eine AGM-130 Rakete umwandeln,(6) indem man die Bombe einfach mit einem Raketentreibsatz ausstattet.(7)

Eine spezielle Form von Präzisionswaffen sind die "bunkerbuster". Im Jugoslawienkrieg wurden von den schweren Jagdbombern F-15E Bomben vom Typ GBU-28 eingesetzt, um Betondecken zu durchschlagen und somit Bunkeranlagen vernichten zu können.(8)

Präzisionswaffen steuern sich auf verschiedene Weise ins Ziel. Bei lasergesteuerten LGBs(9) oder Raketen wird das Ziel durch einen Laserstrahl "beleuchtet". Ein Sensor in der Bombe erfaßt dessen Reflexion und die Bombe steuert diesen Laserpunkt und damit das Ziel an. Mittlerweile gibt es auch satellitengesteuerte Bomben wie die Joint Stand-Off Weapon (JSOW) und die Joint Direct Attack Munitions (JDAMs), die auch bei schlechtem Wetter jederzeit eingesetzt werden können. Diese empfangen Navigationsdaten von drei Navstar-Satelliten, mit denen sie im freien Fall eine genaue Ortsbestimmung vornehmen können. Da die Zielkoordinaten in ihren Computern eingegeben wurden, können die Bomben bei Bedarf Kurskorrekturen vornehmen und sich so genau ins Ziel lenken. Sie wurden im Jugoslawienkrieg erstmals von B-2 Bombern abgeworfen.

Zwar spricht man heute von der "intelligenten Munition", allerdings ist den Militärtechnikern in den letzten dreißig Jahren nicht gelungen, daß die Präzisionsbomben einwandfrei funktionieren. Ein erheblicher Prozentsatz dieser Bomben weicht vom Ziel ab und explodiert dann wie die alten Gravitationsbomben irgendwo. Aber nicht nur durch technisches Versagen, auch durch menschliche Fehler bei der Zielauswahl können Unschuldige in Mitleidenschaft gezogen werden. Amerikanische Piloten verwechselten wiederholt Flüchtlingskonvois mit Militärkolonnen, weil sie aus 5000m Höhe angeblich den Unterschied nicht ausmachen konnten. Bei einem Angriff auf ein vermeintliches Zentrum der militärischen Logistik in Belgrad wurde das falsche Gebäude anvisiert und folglich die chinesische Botschaft getroffen. Außer Botschaftsgebäuden wurden mehrmals auch Krankenhäuser, Altenheime oder Wohngebiete angegriffen. Dabei kamen schätzungsweise 5.000 Angehörige der jugoslawischen Streitkräfte bzw. Polizei und 1.200 serbische Zivilisten ums Leben.(10) Opfer unter der Zivilbevölkerung werden im Militärjargon als "Kollateralschaden" tituliert.

In anderen Fällen trafen diese "intelligenten Waffen" nicht echte Ziele, sondern nur vom Gegner aufgestellte Waffenattrappen. Nach eigenen Angaben hat die NATO rund 120 Panzer und über hundert Flugzeuge zerstört.(11) Nach einer Pressemeldung hat sie nur 13 der insgesamt 300 jugoslawischen Kampfpanzer im Kosovo tatsächlich getroffen.(12) Andere Angriffe verliefen dagegen "erfolgreicher". So konnten serbische MiG-21 Kampfflugzeuge in ihren Flugplatzstellplätzen durch "intelligente Waffen" zerstört werden. Allerdings hatten auch diese Volltreffer einen "Schönheitsfehler": Während eine Präzisionsbombe rund 50.000 DM kostet, gibt es eine gebrauchte Mig-21 auf dem internationalen Waffenmarkt schon für 25.000 DM.

Außerdem sind Präzisionswaffen aufgrund ihrer komplizierten Elektronik kostspieliger als herkömmliche Bomben und damit ihre Lagerbestände begrenzt. Im Jugoslawienkrieg haben die USA fast ihre kompletten Cruise Missiles abgefeuert. Nun werden die strategischen Marschflugkörper mit Atomsprengkopf denuklearisiert und eine Neuproduktion der konventionellen Tomahawks erwogen.

Streubomben und Blindgänger

Aber die alten Gravitationsbomben wurden nicht nur durch Präzisionswaffen verdrängt, auch die ungelenkten Bomben wurden weiterentwickelt. Statt eine Vielzahl einzelner Bomben in der Hoffnung abzuwerfen, eine werde schon das anvisierte Ziel treffen, entwickelten die Rüstungstechniker die Streubomben (cluster bombs): Eine sogenannte "Mutterbombe" zerlegt sich im freien Fall in dutzende "Tochterbomben", die auf das Ziel niederregnen. Durch diese Flächenwaffen ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß wenigsten eine dieser "Bömbchen" (Bomblets) das Ziel tatsächlich trifft.

Zunächst wurden während des Vietnamkrieges die Kugelbomben entwickelt. Ähnlich wie Splitterbomben zersprangen diese beim Aufschlag in zahlreiche Stahlkugeln, die wiederum in zahllose Metallkügelchen zerplatzten. Durch perfiden Erfindergeist wurden diese Bomblets später in ihrem Destruktionspotential noch gesteigert. Sie sind heute keine einfachen Kügelchen mehr, sondern kleine Sprengkörper, die sich durch Sensoren selbst ins Ziel steuern. Sie dienen der Personen- oder der Panzerbekämpfung.

Im Jugoslawienkrieg wurden wiederholt Streubomben, wie die britische BL 755, eingesetzt. Eine Streubombe zerstört nicht gesteuert ein bestimmtes Ziel, sondern sie wirkt immer flächendeckend. Dadurch ist durch einen Angriff mit Streubomben automatisch eine größere Zahl von Personen gefährdet. Da nicht alle Bomblets explodierten, blieb bei Kriegsende eine Vielzahl von Blindgängern zurück, die nun eine ähnliche Gefahr wie Minen darstellen. Beim Versuch solche NATO-Munition zu beseitigen, sprengten sich zwei britische Soldaten in die Luft. Auch mehrere Bundeswehrsoldaten wurden durch einen Blindgänger verletzt.

Uran-Waffen

Im Jugoslawienkrieg wurden auch einige spezielle Waffen- bzw. Munitonsarten eingesetzt. Die Panzerbekämpfungsflugzeuge A-10 Thunderbolt sind mit einer 30 mm Gatling-Kanone GAU-8/A ausgestattet, die theoretisch bis zu 4.200 Granaten in der Minute verschießen kann, um damit gegnerische Panzer aufzusprengen. Das Besondere an diesen Patronen ist, daß sie aus dem besonders harten Schwermetall Uran 238 bestehen. Dieses "abgereicherte Uran" (Depleted Uranium - DU) aus früheren Brennelementen hat nicht nur eine hohe Durchschlagskraft, sondern ist radioaktiv mit extrem hoher Halbwertzeit. Außerdem wird es bei der Panzerexplosion zu hochgiftigem Uranoxid umgewandelt. Ein Einsatz dieser Munition im Jugoslawienkrieg wurde von der NATO schließlich zugegeben.(13) Nun besteht die Gefahr, daß betroffene Geländeabschnitte dauerhaft kontaminiert wurden.(14) Schon im Golfkrieg 1991 waren nach einem vertraulichen Bericht der britischen Atomenergiekommission rund 55.000 DU-Granaten von alliierten Kampfflugzeugen und -Panzern eingesetzt worden.(15)

Mutmaßungen über chemische Waffen

Unklar ist, ob im Jugoslawienkrieg auch chemische Waffen eingesetzt wurden. Die jugoslawischen Streitkräfte verfügen über einen Bestand von rund 30 Tonnen chemischer Kampfstoffe: Die Nervengase Sarin und VX, aber auch den Psychokampfstoff BZ. Schon im Bosnienkrieg gab es Meldungen über einen Einsatz von BZ in Srebrenica.(16) Nun wurden wieder Gerüchte über einen Einsatz von Psychokampfstoffen verbreitet, aber es fehlen bisher eindeutige Beweise. Auch die NATO wird in einer spanischen Wochenzeitung beschuldigt, chemische Waffen eingesetzt zu haben, aber auch in diesem Fall liegen keine konkreteren Erkenntnisse vor. In diesem Zusammenhang ist unstrittig, daß bei NATO-Luftangriffen auf chemische Fabrikanlagen wiederholt giftige Gase freigesetzt wurden.

Spezielle Bomben

Im Jugoslawienkrieg wurden erstmals sogenannte Graphitbomben eingesetzt, die BLU-114/B: Statt ein Elektrizitätswerk in die Luft zu sprengen, beschießt man es mit solchen Graphitbomben, die beim Aufschlag zahllose Fäden aus Graphit freigeben. Da Graphit elektrisch leitend ist, kommt es zu einem Kurzschluß. Dies führte in Jugoslawien wiederholt zu landesweiten Stromausfällen. Der Vorteil dieser Graphitbomben ist, daß man die Fäden nach dem Angriff zusammenkehren kann und die Bomben am Elektrizitätswerk selbst keine Schäden hinterlassen. Dies ist militärisch effektiv und spart nach Kriegsende Kosten für die Wiederaufbauhilfe.(17)

Eine ähnliche Wirkung auf die Stromversorgung wie die Graphitbomben hätten EMP-Waffen. Diese erzeugen einen hohen elektromagnetischen Impuls (EMP), der in Elektrogeräten wie bei einem Blitzschlag einen Kurzschluß bewirkt. Bekannt ist dieser Effekt schon länger, da auch bei einer größeren Atombombendetonation ein solcher Impuls entsteht. Den US-Streitkräften ist es offensichtlich gelungen, einen solchen Effekt auch auf konventionellem Wege zu erzeugen. Zwar behauptete der russische Verteidigungsminister Sergej schon wenige Tage nach Kriegsbeginn, die USA hätten auch diese Waffen erstmals in Jugoslawien mit B-2 Bombern eingesetzt, aber Beweise legte er nicht vor.(18)

Fazit -----Die NATO konnte in ihrem ersten Krieg einen "Sieg" allein durch den Einsatz der Luftstreitkräfte herbeibomben. Allerdings waren die Kriegsziele der Allianz nur beschränkt: Ihr ging es nur um einen Abzug der jugoslawischen Streitkräfte aus dem Kosovo - nicht um die Besetzung des ganzen Landes. Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Ziel nicht doch durch Verhandlungen hätte erreicht werden können. Statt dessen wurde die jugoslawische Infrastruktur durch 20.000 Bombenangriffe zerstört, das Land um Jahrzehnte zurückgeworfen. Für die Vielzahl von Attacken standen kaum genügend Präzisionswaffen zur Verfügung, und es mußte auf alte Gravitationsbomben zurückgegriffen werden. Die eingesetzten Präzisionsbomben wiederum verursachten häufig "Kollateralschäden". Mal funktionierten sie nicht, die Piloten erkannten das Ziel nicht genau oder im Zielplanungsprozeß wurden Fehler gemacht. Der verursachte Schaden ist so groß, daß Jugoslawien aus eigener Kraft einen Wiederaufbau nicht bewerkstelligen könnte. Nun dürfen die NATO-Staaten genau das reparieren, was sie vorher kaputt gemacht haben. Die nötigen Finanzmittel werden aber wohl kaum bei den Militärhaushalten eingespart werden. So hat die NATO in ihrem ersten Krieg vor allem Eines bewiesen: Sie ist nicht nur politisch überflüssig, sondern auch militärisch unfähig.

Quellen:  
(1)
http://members.xoom.com/_XOOM/ggromozeka/aviation/official/lostuavs.htm. Im Einzelnen handelt es sich um eine F-117, eine F-16CJ, eine AV-8 Harrier, eine A-10, ein C-130 Hercules-Transportflugzeug, zwei Apache- und ein Kiowa-Hubschrauber, sowie folgende Drohnentypen: CL-289, Crecerelle, Hunter und Predator.  
(2) Craig Covault, Military Space Dominates Air Strikes, Aviation Week & Space Technology, 29.3.1999, S. 31-33.
 
(3) Rudolf Marquard, Geheimnisse um den US-Bomber B-2, loyal, 6/99, S. 10.
 
(4) Otfried Nassauer, Manuskript, in: Andreas Flocken, Streitkräfte und Strategien, Norddeutscher Rundfunk, 24.4.1999, S. 9
 
(5) Joachim Hoelzgen, Der Schatten von Vietnam, Spiegel, 17.5.1999, S. 281.
 
(6) GBU = Guided Bomb Unit = Lenkbombe.
 
(7) David A. Fulghum, Glide Bombs Modified to Hit Through Clouds, Aviation Week & Space Technology (AW&ST), 7.6.1999, S. 31
 
(8) David A. Fulghum, Glide Bombs Modified To Hit Through Clouds, AW&ST, 7.6.1999, S. 31.
 
(9) LBG = Laser Guided Bombs = lasergesteuerte Lenkbomben
 
(10) N.N., The War's Toll, Time, 14.6.1999, S. 28.
 
(11) ebd.
 
(12) N.N., Balkans: Nato dropped thousands of bombs on dummy roads, bridges and soldiers, The Times, 24.6.1999. Siehe:
http://www.thetimes.co.uk/news/pages/tim/99/06/24/imkoskos01006.html.  
(13) Reuters, Nato räumt Einsatz radioaktiver Munition ein, 14.5.1999, 16:22.
 
(14) Bernhard Pötter, Mit Urangeschossen gegen Panzer, taz, 21.4.1999, S. 6.
 
(15) Ramsey Clark, Wüstensturm - US-Kriegsverbrechen am Golf, Göttingen, 1993, S. 142- 144.
 
(16) Human Rights Watch Report, Chemical Warfare in Bosnia? The Strange Experiences of the Srebrenica Survivors, Vol. 10, No. 9, November 1998.
 
(17)
http://www.fas.org/man/dod-101/sys/smart/blu-114.htm.  
(18) David A. Fulghum, Microwave Weapons Await a Future War, Aviation Week & Space Technology, 7.6.1999, S. 30/31. Eine andere Bezeichnung für diese Waffenart ist High-Powered Microwave (HPM).
 

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