Das erste öffentlichen
Gelöbnis in Berlin fand 1997 am Charlottenburger Schloß statt.
Für 1998 ist ein Gelöbnis vor dem Roten Rathaus am 13. August,
dem Jahrestag des Berliner Mauerbaus angekündigt. In der Diskussion
steht ein weiteres öffentliches Gelöbnis in der KZ-Gedenkstätte
Neuengamme. Die zunehmende Zahl öffentlicher Auftritte der Bundeswehr
bei feierlichen Anlässen erfreut die einen und empört die anderen.
Ein naheliegendes Motiv der Aktivitäten stellt der Versuch der politischen
Führung dar, die Bundeswehr und damit das militärische Gesicht
der Bundesrepublik verstärkt im öffentlichen Bewußtsein
zu verankern: Ein nicht unwichtiger Bestandteil der Legitimation militärischer
Konfliktbearbeitung und der Existenz von Militär überhaupt.
Markus Euskirchen
Das Wachbataillon
beim BMVg
Bonner Spezialisten
für Staatsrepräsentation fassen Fuß in Berlin
Stehen bei den Vereidigungen
die Rekruten in der Öffentlichkeit, so wird der regulären Repräsentationsdienst
- etwa bei Staatsempfängen oder -begräbnissen - vom Wachbataillon
geleistet, einem Truppenteil mit spezieller Aubildung für den repräsentative
Aufgaben in der Öffentlichkeit. Eine Vorhut ist bereits in der Hauptstadt
angekommen und leistet dort seinen Dienst. In der Kritik der Praxis der
militärischen Staatsrepräsentation stellt sich dann auch die
Frage nach alternativen Ansätzen und Ideen ziviler Repräsentation.
Formale Grundlagen
Der zeremonielle Dienst des
'Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung (BMVg)', wie die
korrekte Bezeichnung heißt, stellt im Grunde zunächst eine Form
der Traditionspflege innerhalb der Bundeswehr dar, die durch einen Erlaß
des Bundesverteidigungsministers vom 1. Juli 1965, dem sog. Traditionserlaß,
geregelt wird(1) Das Militärzeremoniell
im engeren Sinne und den besonderen Dienst des dafür zuständigen
Wachbataillons regeln die Zentralen Dienstvorschriften (ZDv) 10/8 und 10/9(2)
Dort heißt es einführend:
"503. Innerhalb der Streitkräfte
sind militärische Formen auch Mittel der Erziehung und Ausbildung.
[...] Dabei werden bewußt auch die Gefühle der Soldaten angesprochen.
Militärische Formen binden den Soldaten in die hierarchische Ordnung
der Streitkräfte ein. 504. In der Öffentlichkeit fördern
militärische Formen das Ansehen der Bundeswehr und tragen im Rahmen
der Selbstdarstellung zur Integration der Streitkräfte in unserer
Gesellschaft bei."(3)
Zwei 'Stoßrichtungen'
sind in der Dienstvorschrift hier angedeutet: Zunächst nach Innen
- in das Militär selbst. Es geht - Stichwort "Disziplinierung der
Körper"(4) - um die
Vermittlung der funktionsnotwendigen Werte und Verhaltensnormen an die
einzelnen Militärmitglieder. Wie ein Teutsches Hofrecht schon aus
der Frühzeit des modernen Militärs, der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts, dokumentiert, soll die Pflege militärischer Formen
ihre Wirkung "[...] im Feld und wo die Soldaten einen eigenen Staat unter
sich ausmachen [...]" entfalten(5).
Zweitens zielen die militärischen Formen - und um solche handelt es
sich auch bei zeremoniellen Formen der Staatsrepräsentation - nach
draußen, in die Gesellschaft: Militärzeremoniell findet als
maßgeblicher Teil der allgemeinen staatlichen Selbstdarstellung statt.
Dem Militär gelingt es, die Verbundenheit, Abhängigkeit (wenn
möglich Einheit) von Staat und militärischer Organisation immer
wieder darzustellen. Das uniformierte Auftreten, sowie eingespielter Ablauf
synchroner Bewegungen in Verbindung mit feierlich-erhabenem Einsatz von
Musikinstrumenten zieht Auge und Ohr des Betrachters in den Bann. Auch
eignet es sich besonders als eindrucksvolles Material für die audio-visuellen
Medien. So gelangen die Bilder in die Köpfe der Zuschauer, die sich
durchaus ästhetisch angesprochen fühlen, und verewigen die Faktizität
des Militärischen unter Ausblendung des eigentlichen Zwecks von Militär:
Kriegsführung und organisiertes Töten. Besonders deutlich wird
dies in Weltgegenden, in denen tatsächlich von Vertretern der ein
und selben militärischen Truppe ausländische Gäste feierlich
empfangen und inländische Gegner profan gefoltert oder getötet
werden. Militärische Staatsrepräsentation stellt aber nicht nur
in diesen Gesellschaften mit aktuell offen gewalttätig ausgetragenen
Konflikten eine wichtige Gelegenheit zur Reproduktion militärischer
Präsenz in der Gesellschaft dar. Auch und gerade in Gesellschaften
und Regionen, in denen die Notwendigkeit von Militär (und Militärausgaben)
wegen des Fehlens realer Bedrohungen nur sehr schwer zu begründen
ist, sorgt militärische Repräsentation für den Erhalt der
Akzeptanz militärischer Logik. Bei der Bundeswehr wird seit 1957 ein
eigenes Bataillon ausgebildet und unterhalten um die Aufgabe der Staatsrepräsentation
mit militärischen Mitteln zu übernehmen.(6)
Die Vorgeschichte
Bestimmend in der Diskussion
um Formen und Symbole für die junge Bundesrepublik war eine Skepsis
gegenüber jeglichem zeremoniellem Aufwand - vor dem Hintergrund der
Instrumentalisierung gerade der Symbole und Formen zur Ästhetisierung
der Herrschaft der Nationalsozialisten bis 1945. Man war sich nach 1945
über eine prinzipielle Beschränkung auf ein Minimum einig. Schon
vor der Aufstellung der Bundeswehr, am 14. Oktober 1954, stand mit dem
Bericht des späteren Verteidigungsausschusses die Notwendigkeit einer
militärischen Einheit zur Repräsentation des Staates fest: "Diese
Gedanken [der Beschränkung, M.E.] sollen nicht Anwendung finden auf
diejenigen Formen des Truppenzeremoniells, die zu Zwecken der staatlichen
Repräsentation entsprechend dem internationalen Protokoll angewandt
werden, dessen Funktion und Zeremoniell an dieser Stelle nicht erörtert
zu werden braucht.(7) Genauso
einig war man sich dann auch über die Notwendigkeit eines militärischen
Gesichts für den jungen Staat.
Auch die junge BRD
muß etwas repräsentieren
Endgültig und vor allem
auffallend schnell aufgestellt wurde das Wachbataillon beim BMVg - dessen
Augaben im Rahmen des diplomatischen Protokolls bis dahin von einer Unteroffizierskompanie
des Bundesgrenzschutzes (BGS) erledigt worden waren - im Jahre 1957, unmittelbar
nach dem ersten Staatsbesuch Adenauers in der Sowjetunion, bei dem dieser
mit geradezu bombastischem militärischem Pomp empfangen wurde. Der
Zusammenhang zwischen diesem Erlebnis Adenauers und der prompten Verwirklichung
der Wachbataillonspläne dürfte tatsächlich mehr als nur
anekdotischen Charakter haben. Adenauer war in Moskau vorgeführt worden,
wie das 'Spiel' der Internationalen Politik gespielt wird. So wie die gesamte
Wiederbewaffnung der jungen Bundesrepublik durchgesetzt werden mußte,
um Deutschland seinen Platz in den westlichen Bündnissystemen zu sichern,
so war klar, daß eine militärische Einheit zur Übernahme
der staatsrepräsentativen Aktivitäten geschaffen werden mußte.
Erst indem man den Staat in der Lage versetzt hatte, sein 'Gesicht' zu
zeigen, meinte man, 'geregelte' diplomatische Beziehungen innerhalb der
Staatenwelt aufbauen und aufrechterhalten zu können. Seitdem war das
Wachbataillon in zwei Standorten in der Nähe von Bonn stationiert:
Ein größerer Teil in Siegburg (Brückberg-Kaserne) und ein
kleinerer in Bergisch-Gladbach. Heute steht mit dem Hauptstadtumzug von
Bonn nach Berlin auch die Verlegung von Teilen des Wachbataillons ins Haus.
Der Standort in Bergisch-Gladbach ist bereits aufgelöst und nach Berlin
verlegt. Damit befindet sich momentan der kleinere Teil am Standort Berlin
(Julius-Leber-Kaserne, Tegel). Das Verhältnis wird sich mit dem endgültigen
Umzug der 'Hauptbedarfsträger' (Bundeskanzleramt, Bundespräsidialamt,
Auswärtiges Amt) umkehren. Der Standort Siegburg bleibt dann als der
kleinere bestehen, um den Bedarf, der nach wie vor in Bonn anfällt
(Verteidigungsministerium), abzudecken.
Aktuelle Daten und
Fakten
1990 wurde das Wachbataillon
von vier auf sechs Einsatzkompanien aus allen drei Teilstreitkräften
(zwei Heeres-, je eine Luftwaffen-, Marine-, Ausbildungs- und Stabskompanie)
aufgestockt. De jure beläuft sich die Stärke der Truppe auf 1.400
Mann, was de facto einer Stärke von etwa 1.700 Mann bedeutet. Die
Differenz erklärt sich durch Überschneidungen bei eintretender
und ausscheidenden Dienstleistenden. Für die Musik wird auf das Stabsmusikkorps
zurückgegriffen, das dem Wachbataillon (in militärisch korrekten
Jargon) nicht 'unterstellt' sondern 'zur Zusammenarbeit angewiesen' ist.
Frauen sind für die Spezialausbildung im protokollarischen Wachdienst
nicht zugelassen, d.h. sie können bei zeremoniellen Einsätzen
nur als Mitglieder des Sanitäts- oder des Musikdienstes beteiligt
sein. Die Mannschaften des Wachbataillons bestehen nach wie vor überwiegend
(etwa 80%) aus Wehrpflichtigen. 98% der im Wachbataillon Dienstleistenden
sind mit T1 (dem höchsten Musterungsgrad) gemustert, weisen keinerlei
Verwendungsausschlüsse auf (d.h. könnten überall in der
Truppe dienen) und sind zusätzlich mit dem Tauglichkeitsmerkmal X1
nach bestimmten Körpermerkmalen als besonders geeignet für den
Dienst im Wachbataillon eingestuft. Die Körpergröße muß
zwischen 1,75 und 1,88 Metern liegen, keine Brille, keine Bärte, keine
Platt-, Spreiz- oder Senkfüße, keine Haltungsfehler, keine Wirbelsäulenverkrümmung,
kein Heuschnupfen, keine Gelenkerkrankungen, keine Herz- und Kreislaufschäden
und keine Vorstrafen(8)
Die Grundausbildung läuft im Bataillon, danach wird im Rahmen der
Spezialausbildung durch Exerzieren der reibungslose Ablauf der verschiedenen
Ehrenformationen eingeübt. Die Ausbildung findet an den heute schon
historischen Karabinern 98K statt, die nur noch vom Wachbataillon und nur
zum Zwecke der Repräsentation benutzt werden. Der Karabiner besitzt
einen Holzschaft und einen mechanischen Verschluß, mit dem das demonstrative
'präsentiert das Gewehr' mit dem notwendigen, eindrucksvollen Lärm,
dem typischen Verschlußklacken, offensichtlich eher stattfinden kann
als mit modernen Waffen. Die restliche Uniform unterscheidet sich von der
regulären BW-Uniform durch genagelte Stiefel, weiße Koppel,
Schulterriemen und grünes Barett mit gotischem 'W'. Bemerkenswerterweise
bildet das gotische 'W' als Emblem des Bataillons eine direkte Traditionslinie
zwischen dem Wachbataillon der Bundeswehr und dem der Wehrmacht vor 1945,
das den nationalsozialistischen Terror- und Gewaltstaat bis zum bitteren
Ende repräsentiert hatte.
Einsatzformen
Man unterscheidet bei Einsätzen
zur Staatsrepräsentation, etwa im Rahmen des protokollarischen Dienstes,
sechs Formen, die sich durch Größe und Ehrenberechtigte unterscheiden
und die in der folgenden Tabelle dargestellt sind.
Tabelle 1: Stärken
der Einsatzformen des Wachbataillons beim BMVg (9)
Diese Formen bilden die Grundlage
für die Durchführung militärischen Zeremoniells durch die
Bundeswehr in der BRD.
Militärische
Verwendbarkeit
Ausdrücklich beauftragt
sind die Mitglieder des Wachbataillons mit der Bewachung des Bundesministeriums
der Verteidigung (und seiner zukünftigen Außenstelle im Berliner
Bendlerblock). Dieser reguläre Wachdienst wird nicht in der traditionellen,
für die Repräsentationsaufgaben reservierten Ausrüstung,
sondern in der Standardausrüstung versehen. Die Soldaten des Wachbataillons
können diesen regulären Wachdienst (und damit einen militärischen
Einsatz) jedoch auch (wie jede Bundeswehrtruppe) im Innern der Bundesrepublik
leisten, sobald ein Gelände zum militärischen Sicherheitsbereichen
erklärt ist. Dies kann durch das BMVg in Zusammenarbeit mit den sonstigen
betroffenen Exekutiven - ohne Beteiligung der Bürgervertretungen -
geschehen (so mittlerweile die regelmäßige Praxis bei den öffentlichen
Gelöbnissen). Das Wachbataillon hat jedoch keine spezifische Ausbildung
(z.B. Jägerausbildung), die über die reguläre Wachausbildung
der Bundeswehr hinausgeht und zu irgendwelchen Spezialeinsätzen qulifiziert.
Der Staat auf der
Such nach einem zivilen Gesicht? - Eher nicht!
Im April 1982 bedankte sich
ein Bundestagsabgeordneter bei seinem Bundeskanzler für den militärischen
Aufwand beim Staatsbesuch des schwedischen Ministerpräsidenten durch
die Übergabe einer Schere. Der Bundeskanzler solle "endlich einmal
den alten Zopf abschneiden, ausländische Staatsgäste mit militärischen
Ehren zu begrüßen". Er schlug als zivile Alternative eine repräsentative
Abordnung friedfertiger Bürger aller Berufsgruppen und Gesellschaftsschichten
vom Wissenschaftler bis zum Kaminkehrer vor, wobei eine Anzahl hübscher
junger Damen fremde Staatsmänner besonders freuen könnte. Der
eine oder andere Soldat dürfe als Vertreter eines geachteten Berufsstandes
ruhig dabei sein(10) Das
war vor der geistig-moralischen Wende. Seitdem geht die Entwicklung eher
sogar in die andere Richtung. Militärisch-patriotische Identifikationsmechanismen
wirken einerseits von unten, d.h. durch die Beteiligung an Aufmärschen
etc. und die Pflege traditioneller militärischer Formen und Symbole
beeinflußte Soldaten werden zu Trägern und zu Verteilern einer
'Faszination des Militärischen'. Diese Faszination findet ihr Gegenstück
in der Traditionspflege und der Pflege militärischen Zeremoniells
im Rahmen öffentlich-publikumswirksamer Staatsrepräsentation
von oben - gewollt von der politischen Führung. Beide Tendenzen haben
in einem neuen Selbstbewußtsein nach 1989 wieder an Attraktivität
gewonnen. Von mancher Seite wird im Zuge dieses Trends schon das "bundesdeutsche
Untermaß an Repräsentation" beklagt und endlich die "Selbstannahme
der Deutschen" gefordert: Die Wende hin zu einem Mehr (auch) an (militärischer)
Repräsentation - zu einem 'Mehr an Normalität'(11)
In diesem Zusammenhang sind die mit Nachdruck aus dem BMVg geforderten
und geplanten öffentlichen Gelöbnisse zu sehen. Nicht nur antimilitaristische
Wachsamkeit auch gegenüber den symbolischen Formen ist angebracht.
Wichtiger ist antimilitaristische Bewußtmachungs- und Überzeugungsarbeit,
die die subtil-unterbewußten Wirkungsweisen öffentlich-feierlicher
Militärauftritte aufzeigt und die damit angestrebten Akzeptanzgewinne
für das Militär verhindert.
Anmerkungen:
(1) vgl. Harder, H.-J.,
Wiggershaus, N.: Tradition und Reform in den Aufbaujahren der Bundeswehr,
Herford 1985, S. 155
(2) Die Beschränkung
der Herausgabe dieser Papiere 'zum Dienstgebrauch' wird sehr ernst genommen.
Ich konnte nur während des Interviews (vgl. FN 7) einen kurzen Blick
in diese Texte werfen. Eine genauere Auswertung wäre wünschenswert.
(3) ZDv 10/8, Kapitel 5,
I. Einführung
(4) vgl. das Kapitel über
die 'gelehrigen Körper' bei Foucault, M.: Überwachen und Strafen,
Frankfurt/M. 1979, S. 173ff. und die erst kürzlich erschienene Studie
von Bröckling, U.: Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer
Gehorsamsproduktion, München 1997
(5) Hartmann, J.: Staatszeremoniell,
Köln 21990, S. 225
(6) Um angesichts der Umzugssituation
Bonn-Berlin mit möglichst aktuellen Fakten arbeiten zu können,
habe ich am 22.10.1997 mit dem Kommandeur des Wachbataillons beim BMVg,
Standort Berlin, Herrn Röper, ein Interview geführt. Das Kapitel
beruft sich, wenn nicht anders angegeben, auf das Gedächtnisprotokoll
zu diesem Gespräch.
(7) zit. nach Stein, Symbole
und Zeremoniell, S. 247
(8) vgl. Reportage in der
ZEIT vom 3. Juni 1988
(9) vgl. Hartmann, Staatszeremoniell,
S. 227f
(10) zit. nach Stein, H.-P.:
Symbole und Zeremoniell in deutschen Streitkräften vom 18. bis zum
20. Jahrhundert, Herford 21986, S. 255
(11) vgl. Isensee, J.: Staatsrepräsentation
und Verfassungspatriotismus. Ist die Republik der Deutschen zu Verbalismus
verurteilt?; in: Gauger, J.-D., Stagl J. (Hg.): Staatsrepräsentation,
Berlin 1992, S. 226 und 239